Die dänische Universitätsstadt Aarhus, kleine Schwester von Kopenhagen und bisher mit dem Komplex der ewigen Zweiten behaftet, kommt in diesem Jahr ganz groß raus. Neben Paphos in Zypern ist Aarhus, das man übrigens Oh-hus ausspricht, Kulturhauptstadt 2017. Heißt: unzählige Ausstellungen, Events, Konzerte und Partys. Wir haben uns in das 492-seitige Programmbuch vertieft und sind mit diesen Tips für euch wieder aufgetaucht.
Cate Blanchet overkill
Wer die Ausstellung im letzten Jahr in Berlin verpasst hat, bekommt in Aarhus eine zweite Chance: Manifesto von Julian Rosefeldt mit Cate Blanchet in 13 verschiedenen Rollen wird hier in einer Galerie im Industriehafen auf die großen Leinwände gebracht. Die Figuren – darunter ein Obdachloser, eine Grundschullehrerin, eine Nachrichtensprecherin, eine Brokerin – eint neben ihrer großartigen Darstellerin vor allem eines: Sie alle haben etwas Gewichtiges zu sagen, leidenschaftlich vorgetragen im Brustton der Überzeugung – nichts weniger nämlich als ein Manifest!
Julian Rosefeldt hat aus den Manifesten verschiedener Strömungen wie des Dadaismus und Fluxus sowie einzelner Künstler und Denker eine Textcollage zusammengestellt, um die Rolle des Künstlers in der modernen Gesellschaft in Frage zu stellen. Gedreht wurden die einzelnen Szenen innerhalb von nur zwei Wochen in Berlin. Im Kulturhauptstadtjahr ist Manifesto Teil des Projekts Coast to Coast, das von der Nordsee bis zur Ostsee Kunstwerke weltbekannter Künstler präsentiert – in lokalen Milieus und Kultureinrichtungen der gesamten Region. Wer den Cate-Blanchet-Overkill (nein, wir können von Cate gar nicht genug bekommen!) erleben will, muss sich allerdings etwas beeilen. Nur noch bis 15. April läuft die Ausstellung im O’Space.
Der Garten – gestern, heute, morgen
Gleich drei Ausstellungen bilden The Garden. Die Ausstellung Fortid (Vergangenheit) beleuchtet die landschaftlichen Traditionen und die Natur aus Sicht der Kunst und Ideengeschichte. Sie wird im Kunstmuseum Aros zu sehen sein, das bisher weniger durch seine Begrünung auffiel, als vielmehr durch das Farbenspiel der Dachkrone, die der dänisch-isländische Künstlers Olafur Eliasson dem Gebäude einst verpasst hat. Hier ist die Ausstellung vom 8. April bis 10. September zu sehen.
Die Ausstellung Nurtid (Gegenwart) findet hingegen im Stadtraum von Aarhus statt. Hier geht es um die Rolle der Natur in der neuen, globalen Welt, die von Diaspora, Immigration und globalen Kapitalbewegungen gekennzeichnet ist. Die Ausstellung Fremtid (Zukunft) präsentiert schließlich eine Reihe von Freiluftinstallationen entlang eines vier Kilometer langen Küstenabschnitts. Beides zu erleben vom 3. Juni bis 30. Juli. Die Triennale The Garden ist ein erklärter Höhepunkt des Kulturhauptstadtjahres, weshalb man da wohl ohnehin nicht drumrum kommt.
Die Reise des Menschen
The Journey erzählt die Geschichte der menschlichen Reise von der Geburt bis zum Tod auf allen sieben Kontinenten – und ist dabei mehr als eine Ausstellung, mehr als ein Film, es ist ein sämtliche Sinne ansprechendes Erlebnis. Los geht es mit dem ersten Atemzug eines Babys in Dänemark, weiter zur Liebe nach Afrika, zum Glauben nach Südamerika, zur Angst nach Ozeanien und zum Verlust nach Nordamerika.
Am Südpol folgt letztlich die Einsicht, dass der letzte Atemzug naht. Dieser wird in Asien genommen und der Körper dem Feuer überantwortet. The Journey stellt die Frage, welchen Raum wir alle miteinander teilen. Und was es bedeutet und ausmacht, Mensch zu sein. Autor und Regisseur ist der dänische Filmemacher Christoffer Boe. Vom 25. April bis 26. November im Moesgaard Museum, auch MOMU genannt.
Düster schreiben wie die Dänen
„Nordic Noir“, die düsteren Drama- und Krimiserien um komplizierte Charaktere wie Saga Norén („Die Brücke“) oder Dicte Svendson („Dicte“), gehören inzwischen zu Skandinavien wie die regelmäßig in Studien ermittelten glücklichsten Bürger der Welt. Damit das so bleibt, Nordic Noir also auch in Zukunft die Zuschauer auf sämtlichen Kontinenten fasziniert, soll in einer intensiven Schreibwerkstatt nach neuen Talenten Ausschau gehalten werden.
„Neues Nordic Noir“ heißt der Workshop im Mai unter der Leitung von Nikolaj Scherfig, Hauptverfasser von „Die Brücke – Transit in den Tod“, in dem Autoren aus aller Welt von Profis lernen, wie man Spannung und Dramatik erzeugt. Zudem wird eine Fernsehserie entwickelt, die an der schönen und wilden Küste Westjütlands spielt. Wir sind jetzt schon ganz gespannt. Weitere Informationen gibt es hier.
Nordic-Noir-Beispiel Dicte:
Übrigens: Im Programm zum Kulturhauptstadtjahr wird als Event auch der Start der neuen Staffel von „Dicte“, die Ende des Jahres im dänischen Fernsehen ausgestrahlt wird, aufgeführt. Das ist natürlich auf jeden Fall eine Erwähnung wert, schließlich spielt Dicte in Aarhus, erklärt aber auch exemplarisch, wie der gewaltige Umfang das Programms zu Stande kam.
Sehnsucht, Leben, Erinnerungen
Acht Jahre hat es gedauert, bis die drei Skulpturschiffe aus Beton seetüchtig waren, mehrere hundert Freiwillige haben daran mitgewirkt, nun cruisen sie endlich über das Meer: die drei Life-Boats der norwegischen Künstlerin Marit Benthe Norheim. Sie verkörpern jeweils eins der drei Themen Sehnsucht, Leben und Erinnerungen. Gäste können an Bord gehen und zur Musik des norwegischen Komponisten Geir Johnson das Innere der Skulpturen erleben. Das muss übrigens nicht in Aarhus sein: Die Boote machen sich auf die Reise und steuern auch andere Häfen in Europa an.
Die lange Tafel
„Der gut gedeckte Tisch“ versammelt Menschen und fördert Gespräche über das gute Essen. Serviert wird mit der Mahlzeit nicht selten auch eine Vision oder Geschichte. So kommt unter anderem das „Katastrophen-Menü“ auf den Tisch, das in einem Workshop im April von Wissenschaftlern, Zukunftsforschern und Köchen zusammengestellt wird, die sich der Frage widmen, wie Essen und Kochen in der Zukunft aussehen werden. Was wird auf der Speisekarte stehen? Welche Nahrungsmittel bleiben übrig, falls die Erde vertrocknet oder die Welt überschwemmt wird?
Ob das Catastrophic meal schmecken wird, ist schwer zu sagen. Wer nicht weiß, was er nach dem Essen dazu sagen soll, hält es einfach wie Biolek. „Interessant!“, sagte der Mann tapfer, wenn sein Gaumen von einem Studiogast arg strapaziert wurde. Hier dürfte es auf jeden Fall passen. Das Event zum „Catastrophic meal“ findet vom 25. bis 27. April in Vestjyllands Højskole, Ringkøbing, statt. „Der gut gedeckte Tisch“ wird am 2. und 3. September, parallel zum „Food Festival“, veranstaltet.
Wassermusik unter dem Vollmond
Der alte Industriehafen von Randers bildet die Kulisse und der Vollmond sorgt für eine Extraportion Magisches: Watermusic heißt das Spektakel, bei dem 300 Sänger und Sängerinnen, diverse Luftakrobaten und ein paar tanzende Boote eine Geschichten über die Liebe zwischen dem Land und dem Wasser erzählen. Königin des Meeres: Die Sängerin Oh Land. Watermusic ist eines von insgesamt 12 Events der Kulturhauptstadt, die auf den Vollmond datiert sind. Bei diesem dürfte es der allerdings schwer haben, Aufmerksamkeit zu erregen — bei all den Light-Shows und 3‑D-Animationen im Hafen. Vormerken: 2. und 3. September im Hafen in Randers. Weitere Informationen gibt es unter anderem hier.
Unser letzter Tipp
Einfach hinfahren. Gar nicht groß das Programm studieren. Denn vieles wird sich spontan in den Straßen ergeben, vor allem im Sommer, so dass man auch ohne Tickets schnell auf seine Kosten kommt. Was man in Aarhus abgesehen von den Kulturevents noch so erleben kann, erfährt man hier. Wer noch eben eine Minute Zeit hat, lässt sich von diesem hübschen Video auf die Stadt einstimmen:
jes.