„Hier will ich bleiben“, befand einst Alfred Kerr (1867–1948), der in „Graal, waldbegraben, an einer reinlich-frischen Brandung (…) das schönste Ostseefleckchen“ fand. Hans Fallada (1893–1947) hat hier als Kind „so manche Sommerferien verbracht, als dort noch alles still und ländlich war, ohne Strandkörbe und Kurtaxe. In Müritz gab es schon Berliner.“ Doch wie ist es heute in Graal-Müritz, jenem Doppelort zwischen Warnemünde und Fischland-Darss? Warum sollte man hin, und warum vielleicht lieber nicht? Unser Ferienorte-Check.

 

1. Der Wald am Meer!

Man sieht das Meer vor lauter Bäu­men kaum. Wer an den Strand will, muss erst­mal durch einen her­rlichen Wald: Er wan­dert vor­bei an üppi­gen Far­nen und auf­streben­den Stäm­men, hört das Rauschen der Blät­ter sich mis­chen mit dem Rauschen der Wellen, und atmet tief ein diesen einzi­gar­ti­gen Duft, den Nadel­hölz­er und Meer­wass­er hier täglich kreieren. Das riecht übri­gens nicht nur gut, son­dern ist äußerst gesund: Da auf der Hal­binsel meist auflandi­ger Seewind bläst, bleiben Schad­stoffe und Aller­gene in der Luft ger­ing, während Jod und Spurenele­mente reich­lich vorkom­men. Diese Kom­bi­na­tion aus Wald und Meer ist einzi­gar­tig. Schon Kerr staunte hier einst: „Stets dieser schwere Baum­duft wundersam.“

Graal Müritz Der Weg zum Strand führt durch den Wald

Der Weg zum Strand führt durch den Wald. © jes/zweiküsten

2. Diese Ruhe!

Der Wald rauscht, das Meer rauscht, daneben macht sich nur wenig akustisch bemerk­bar. Kinder vielle­icht, die in den Wellen toben oder sich am Strand gegen­seit­ig die Schaufeln klauen. Und Kinder sieht man viele her, denn Eltern schätzen diesen Ort, wo sie die Kleinen beizeit­en ins Bett schick­en kön­nen, ohne fürcht­en zu müssen, dass nächtliche Par­ty-Beats sie als­bald aus dem Schlaf reißen. Und das wiederum ist die schlechte Nachricht für alle, die nach Son­nenun­ter­gang ein Nightlife so drin­gend brauchen wie zuvor die Son­nen­creme am Strand: In Graal-Müritz ist nichts los. Warum auch? Wer hier Urlaub macht, ist entwed­er Rent­ner oder hat Kinder im Bud­de­lal­ter – und geht abends nicht mehr vor die Tür.

Strandkörbe am Strand von Graal-Müritz

Strand­körbe warten auf ihren Ein­satz © jes/zweiküsten

3. Weil der Strand überschaubar ist

Der Strand ist schmal, so schmal, dass oft nur Platz für eine Rei­he Strand­körbe ist. Das hat natür­lich Vorteile: Alle sitzen in der ersten Rei­he mit Blick zum Meer, die Düne im Rück­en. Und mag der Weg zum Wass­er auch kurz sein, der Weg im Wass­er ist umso länger: Flach ist der Strand, ide­al für Kinder und alle, die an heißen Tagen ein­fach nur gern im Wass­er ste­hen. Und damit schwenken wir noch ein­mal zu Afred Kerr, der hier einst fröh­liche Nack­t­bäder am ein­samen Strand genoss und befand: „Man sitzt in der Flut wie in ein­er Bade­wanne.“ Ach­ja, Schwim­men kann man natür­lich trotz­dem wunderbar.

Strand von Graal-Müritz

Strand von Graal-Müritz © jes/zweikuesten

4. Weil man hier die Liebe finden kann

Robert Musil, „Der Mann ohne Eigen­schaften“, ver­guck­te sich einst auf dem Bahn­hof in Ros­tock in eine Frau, die in einen Zug stieg, und fol­gte ihr – bis Graal, wo die Dame im heuti­gen Wald­ho­tel eincheck­te. Musil tat es ihr nach, nahm jene Martha Mar­co­val­di später zur Frau und erwäh­nte den Ort sog­ar seinem großen Roman. Heute erin­nert eine Tafel vor dem Hotel an den berühmten Gast.

Hotel Waldfrieden in Graal-Müritz: Hierhin folgte Musil seiner späteren Frau.

Hotel Wald­frieden in Graal-Müritz: Hier­hin fol­gte Musil sein­er späteren Frau. © jes/zweikuesten

Franz Kaf­ka kam einst nach Müritz und ver­liebte sich im let­zten Som­mer seines Lebens in die junge Kinder­be­treuerin Dora Dymant. Sie sollte bis zu seinem Tod an sein­er Seite bleiben. Und den Schrift­steller Wal­ter Kem­pows­ki hätte es wohl nie gegeben, wenn sich dessen Eltern nicht im Jahr 1913 auf der hiesi­gen See­brücke getrof­fen hät­ten. Sollte die berühmte Luft von Graal-Müritz neben Kiefer­n­duft und Meeres­brise also noch eine andere Zutat enthal­ten? …Love is in the air.…

5. Weil die Preise hier noch in Ordnung sind

Man muss sich nichts vor­ma­chen: In der Hoch­sai­son sind Deutsch­lands Küsten teuer. In Graal-Müritz aber gibt es noch ver­gle­ich­sweise gün­stige Ferien­woh­nun­gen. Als Alter­na­tive zu den herkömm­lichen Hotels empfehlen wir übri­gens gern das Haus Wart­burg, einst Erhol­ungsstätte für Diakonis­sen aus Dres­den, heute fam­i­lien­fre­undlich­es Hotel mit großem Garten am Wal­drand, angenehm ein­gerichteten Zim­mern und beson­ders gün­sti­gen Preisen für Senioren und Familien.

Lobby im Haus Wartburg in Graal-Müritz

Lob­by im Haus Wart­burg © jes/zweiküsten

Gar nicht in Ord­nung sind hinge­gen die Preise in dem Eis­café an der See­brücke. Hier zahlt man für einen Schwe­deneis­bech­er – gel­ernte DDR-Bürg­er erin­nern sich: Vanille-Eis trifft auf Apfel­mus, Sahne und Eier­likör – fast 10 Euro. So viel ist nicht mal die untergemis­chte Nos­tal­gie wert.

6. Weil man schnell wegkommt

Wer nach ein paar ruhi­gen Strand­ta­gen doch mal etwas Erbau­ung braucht, muss nicht lange fahren. Ahren­shoop, die malerische Kün­stlerkolon­nie, die übri­gens in diesem Jahr ihren 125. Geburt­stag feiert, ist nur wenige Kilo­me­ter ent­fer­nt. Dahin­ter liegt der Darss mit seinen her­rlich wilden Strän­den und noch ein Stückchen weit­er Zingst, Mek­ka der Fotografen und Fre­unde der Fotografie. Wer es urbaner mag, fährt in die andere Rich­tung und ist in weni­gen Minuten in Warnemünde, schlürft vielle­icht einen Cock­tail in der Sky­bar des Hotel Nep­tun oder schaut am Kai den großen Pöt­ten zu, wie sie Kurs auf die Stadt nehmen.

Künstlerkate in Ahrenshoop

Kün­stlerkate in Ahren­shoop © jes/zweiküsten

7. Weil die Sonne im Meer versinkt

Dass die Sonne am Abend malerisch im Meer versinkt, erlebt man nicht allerorts. In Graal-Müritz tut sie das, wenn auch eher schräg links, statt hin­ten am Hor­i­zont. Über die genaue Zeit des Son­nenun­ter­gangs informiert täglich eine Tafel vor dem kleinen Strand-Bistro, das zum IFA Hotel gehört. Dort kann man gut sitzen. Oder etwas weit­er den Weg runter, da, wo die Dünen so hoch sind, dass der Rück­weg vom Strand müh­sam, der Aus­blick auf das Meer aber grandios ist. Hier hat eine fre­undliche Fam­i­lie aus Süd­deutsch­land eine Bank gespendet und dabei aus ihrer Herkun­ft kein Geheim­nis gemacht: Gugg, a Sonnenuntergangsbänkle.

 

Was eventuell gegen Graal-Müritz spricht:

1. Promenieren geht nicht

Es gibt wed­er eine richtige Prom­e­nade, noch einen Ortskern, den man gern ent­lang flaniert. Stattdessen rei­hen sich von der See­brücke lan­dein­wärts lieb­los ein paar Restau­rants und Läd­chen hin­tere­inan­der auf. Da geht man nur lang, wenn man wirk­lich muss. Über­haupt, die Stadt­struk­tur: Die Fusion von Graal und Müritz ist zwar schon eine Weile her, doch die ein­stige Tren­nung immer noch spür­bar. Der Ort wirkt zer­siedelt, ohne richtige Mitte, fast haltlos.

2. Kulturell ist nichts los

Dass sich hier so viele Lit­er­at­en wohl fühlten, kann nicht am intellek­tuellen Spir­it des Ortes gele­gen haben, denn den sucht man hier eher verge­blich. Das Kul­tur­pro­gramm ist dürftig und das einzige Muse­um, das Heimat­mu­se­um, eine sym­phatis­che Rumpelka­m­mer mit recht wahl­los arrang­ierten Exponat­en. Wenn doch mal Kun­st angekündigt wird, wie kür­zlich die Instal­la­tion im Rhodo­den­dron­park, dann ste­hen da ein paar Pin­guine mit Son­nen­brillen rum und wer­fen Fra­gen auf. Am besten nimmt man sich ein paar gute Büch­er mit. Wie wäre es etwa mit Musils Mann ohne Eigen­schaften? Angesichts der gut 1000 Seit­en Leses­toff kann man sog­ar get­rost ein biss­chen länger bleiben.

Installation Pinguine im Rhododendronpark in Graal-Müritz

Man nen­nt es wohl Kun­st: Instal­la­tion im Rhodo­den­dron­park © jes/zweikuesten

3. Die Tristesse

Während andere Orte an der Küste schon kom­plett aufge­hüb­scht sind, find­et man in Graal-Müritz immer noch Spuren der Ver­gan­gen­heit in Form ver­fal­l­en­er und ver­ram­melter Anla­gen in bester Lage. Das macht etwas trau­rig. Ander­er­seits sorgt es wiederum für diesen mor­biden Zauber, den der­ar­tige aban­doned places nun mal ausüben.

Verfallene Bungalows in Graal-Müritz

Ver­fal­l­ene Bun­ga­lows in Graal-Müritz © jes/zweiküsten

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