Verlassene Orte und dichte Wälder sind so unheimlich wie anziehend, so faszinierend wie romantisch. Auf Rügen findet man einige ganz besondere dieser „abandoned places“ – und Wälder, in denen tatsächlich bizarre Kreaturen leben. Jetzt ist die beste Jahreszeit, sie zu entdecken. Eine Tour an drei ziemlich gruselige Orte.
1. Die Ruinen von Dwasieden
Drei Prüfungen muss der Wanderer bestehen, will er in Dwasieden das Fürchten lernen: Er muss eine gewölbte Holzbrücke passieren, was bei feuchtem Wetter so unmöglich erscheint wie eine mit Seifenlauge ausgegossene Rutsche hochzuklettern – Millimeterweise geht es voran, das Geländer wird zum Komplizen. Kaum ist die Brücke bewältigt, liegt ein gewaltiger Baum quer über dem Weg. Es ist die zweite Prüfung. Die Dritte: Man muss seine Angst in den Griff bekommen. Und das wird nicht leicht in diesem Wald.
Ausgeschlachtete Baracken, einst von Militärs genutzt, liegen tief im Dickicht. Wie leere Augenhöhlen glotzen ihre Öffnungen auf die Wege. Junge Buchen umstehen die Gebäudegerippe; wie Gitterstäbe eines Gefängnisses wirken ihre dünnen Stämme. Ein Knacksen von irgendwo. Der Puls geht schneller, die Kamera wackelt in zitternden Händen.
Plötzlich, zwischen all den leeren Betonbauten des letzten Jahrhunderts, eine neoklassizistische Fassade. Das Gebäude dahinter fehlt. Abfall häuft sich. Büsche wuchern aus dem Mauerwerk. Eine einzelne Säule streckt ihr hübsches Kapitell in die Luft, tragen muss sie nichts mehr. So unheimlich und geheimnisvoll wirkt die Gebäudehülle wie die polierte Ritterrüstung in einem dunklen Schloss, in der sich ein Geist versteckt.
Es war der Marstall von Dwasieden, der nicht wie das Schloss 1948 gesprengt wurde, aber gut 50 Jahre später ausbrannte. Zuvor wurde er noch von der Nationalen Volksarmee genutzt, die das Gelände nach dem Krieg bezog – und Anfang der 1990er verließ. Seitdem verfallen hier Zeugen verschiedener Zeiten: die hässlichen Zweckbauten des Militärs und die Überreste des Schlosses Dwasieden, das einst eines der schönsten Sommersitze Rügens war.
Ein Schüler von Schinkel hatte es von 1873 bis 1877 aus Sandstein und Marmor für einen Bankier aus Berlin gebaut. Kennzeichnend waren zwei Aussichtstürme sowie die beiden Säulengänge an jeder Seite, die zu romantischen Pavillons führten. Reste davon liegen unweit des Marstalls versprenkt im Wald. Leichenteile eines Schlosses.
Anreise und Infos
Vom Bahnhof in Sassnitz geradeaus, an dem kleinen Kreisverkehr links und an dem Platz vor dem Hotel Rügen rechts auf die große Fußgängerbrücke zum Hafen gehen. Unten angekommen in die Hafenstraße (nicht Richtung Touristeninformation, sondern stadtauswärts), die bald in die Straße der Jugend übergeht. Nach der Biegung erscheint auf der linken Seite oben erwähnte Holzbrücke. Weitere Informationen zum Schloss und Termine von Führungen gibt es hier.
2. Gruselturm und Hexenbuchen
Spinnenweben spannen sich um das vergitterte Fenster; Efeu kriecht über das Gemäuer; eine Treppe führt hoch ins Nichts; hinter einer Öffnung im Turm klafft tiefschwarze Leere – wie ein Verließ aus dem Mittelalter wirkt der Turm im Waldpark Semper bei Lietzow. Und fast meint man die Schreie eingesperrter Jungfrauen zu hören. Doch es ist nur der Wind, der durch die Baumkronen zieht.
Das Gemäuer ist auch lange nicht so alt wie es aussieht. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es hier in den Wald gebaut – der Ruinencharme war durchaus gewollt – und als Wasserturm genutzt. Heute ist er vor allem eines: Ein würdiger Portier für den Hexenwald, der wenige Meter weiter seinen Grusel entfaltet.
Die Hexenbuchen von Lietzow
In bizarren Verrenkungen schrauben sich die Stämme und Äste der Bäume in die Luft. Als würden sie sich aus Schmerz krümmen und winden. Aber vielleicht tanzen sie auch einfach nur, wild und frei, bar jeder Dramaturgie? Dass die bizarren Formen dieser so genannten Süntelbuchen nicht dem Märchen entspringen, sondern einer Mutation, mag man da gar nicht so gern hören. Viel lieber lässt man doch der Fantasie freien Lauf, während man wie angewurzelt da steht und kleine Schauer über den Rücken jagen.
Anreise und Infos
Lietzow ist einer der wenigen Orte auf Rügen, die mit dem Zug gut zu erreichen sind. Vom Bahnhof Richtung Bodden laufen und den Hinweisschildern zum Waldpark Semper und dann zum „Hexenwald“ oder „Krüppelbuchen“ folgen. Am Wasserturm geht es rechts zu den Süntelbuchen. Achtung: Nicht vorbeilaufen. Im Sommer erkennt man die Baumgruppe an dem dichten Blätterdach, das sie nahezu komplett einhüllt. Als Orientierung dient eine kleine Bank linkerhand, die Buchen stehen rechts.
3. Monster am Meer
Das „gebaute Böse“ ist er für Daniel Libeskind, das „Monster am Meer“ für die Medien – der 4,5 Kilometer lange Gebäudegigant, den die Nazis einst an den schönen Strand von Prora setzten. Ein Prototyp des neuen deutschen Seebades sollte er werden und Platz bieten für 20.000 arische Urlauber, die hier „Kraft durch Freude“ tanken sollten.
Dazu kam es nie, der Krieg führte zum Baustopp. Anstelle von Urlaubern zogen wenige Jahre später Soldaten ein: In der DDR wurde der Nazi-Klotz zur NVA-Kaserne. Jetzt wird er saniert. Hotels und Ferienwohnungen entstehen, das Graubraun der Fassade macht einem freundlichen Weiß Platz, Balkone zeigen zum Meer. Wie ursprünglich von Hitler geplant, wird der Bau nun zum Ferienort – allein die Geschichte ist zum Gruseln.
Der monströse Bau in den unterschiedlichsten Stadien der Sanierung ist es erst recht: Ob als stark verfallene Ruine, entkerntes Gebäude mit Fensterlöchern wie offene Wunden oder fertiges Ferienglück im Plattenbaucharme – man möchte eigentlich nur schnell weg. Also ab an den Strand, der tatsächlich einer der schönsten ist, den die Insel zu bieten hat.
Doch auch dort wartet das Grauen. Wo die Gebäudezeile eine Pause macht, liegt eine verfallene, riesige Terrasse am Meer. Eine Tür, auf der Brüstung angeschweißt, führt ins Nichts. Wellen schlagen erbarmungslos gegen die Mauern, als würden auch sie versuchen, was irgendwie unmöglich scheint: den Bau der Nazis zu zerstören. Ein einsamer Stuhl steht verlassen auf Beton. Wer hat da wohl gesessen? „Gefahr“ steht überall. Man glaubt es sofort.
Anfahrt und Info
Mit dem Zug nach Prora-Ost, von dort Richtung Strand. Das Gebäudemonster ist nicht zu übersehen, wenngleich nicht in seiner Gänze zu überblicken. Dafür müsste man auf den Adlerhorst im Baumwipfelpfad von Prora, der sich auch aus ganz anderen Gründen lohnt. Ein Dokumentationszentrum informiert über die Geschichte des Baus vor Ort. Einen Vorgeschmack gibt es hier beim ZDF. Mehr über den Bauboom in Prora lest ihr hier.
Touren-Tipp: Wer alle drei Orte an einem Tag erleben will, fängt am besten in Sassnitz an, fährt von dort mit dem Zug nach Lietzow und kann dann nach Prora wandern (Richtung Feuersteinfelder, dann Richtung Prora) oder ebenfalls den Zug nehmen. Am Strand von Prora kann man den Tag gut ausklingen lassen.
Die Orte auf der Karte:
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