Zum Beispiel nach Rügen! Eine Erfahrung.
Als ich das letzte Mal campen war, studierte ich noch und radelte mit einer Freundin und einem Zelt über Rügen. Die Sonne kam kaum hinter den Wolken hervor, der Wind regelmäßig von vorn und der Regen nachts ins Zelt gekrochen. Eine Art Glücksgefühl stellte sich allenfalls ein, wenn sich auf dem Campingplatz eine hoffnungslos optimistische Seele fand, die unsere ungenutzte Sonnencreme gegen zwei Flaschen Wein tauschte.
Campen auf Rügen – dass es viele Jahre später zu einem zweiten Versuch kommen sollte, liegt einzig und allein an dem Wohnmobil, welches Rad und Zelt ersetzt. Denn das dürfte Steigungen problemlos nehmen, Regen und Kälte trotzen und sich vom Wind allenfalls sanft durchrütteln lassen. Zudem verspricht es grenzenlose Freiheit – und damit etwas, das sich seit den unbeschwerten Studientagen im Leben ziemlich rar gemacht hat.
Luxus auf Rädern
Die ersten Bilder von unserem Domizil auf Rädern zeigen uns noch ein paar weitere Vorzüge. Was für ein Luxus! Das Interieur des LMC Explorer Premium 710 erinnert an eine Promikabine auf einem Ozeankreuzer. Küche, Duschkabine, Toilette – alles an Bord und ziemlich schick: dunkle Palisanderoptik, weißer Hochglanz, dezente Leinenvorhänge… Und dann die Ausmaße! 7,35 Meter misst das gesamte Gefährt. Als die Kinder die Länge im Wohnzimmer abschreiten wollen, laufen sie gegen Wände.
Sogar neben dem Zwei-Meter-Mann, der uns wenige Wochen später bei der Übergabe Technik und Ausstattung erklärt, wirkt es noch riesig. Für das Cockpit allein sollte man die Panoramafunktion der Kamera einstellen. Und groß ist auch der Erklärbedarf. Der Mann reißt Klappen und Türen auf, zeigt auf Gasflaschen, Tanks und Kanister, auf Hebel, Schalter und Knöpfe. Stromanschluss, Klappsessel, Drehtisch, Beleuchtung, Navi, Fernseher, Sat-Antenne, Toilette, Dusche, Markise…
Nach einer Stunde rauscht der Kopf. Es wurden schon für weit weniger Lerninhalte ganze Wochenendseminare veranstaltet. Am Ende sind wir froh, uns immerhin daran zu erinnern, wo die dicken Handbücher und Gebrauchsanweisungen liegen. Sie werden, befürchten wir, sämtliche Urlaubslektüre ersetzen.
Gefahr für den Gegenverkehr
Wir packen unsere Sachen ein und werfen den Motor an. Auf den ersten Metern braucht der 3,5‑Tonner noch die gesamte Fahrbahnbreite, doch bald schon sind wir keine Gefahr mehr für den Gegenverkehr. Und hatten wir vorher geglaubt, dass jemand, der sein Haus mit sich herumträgt, nur im Schneckentempo vom Fleck käme, werden wir auf der Autobahn eines besseren belehrt. Es geht recht zügig voran. Das Wohnmobil knabbert so eifrig die Kilometer wie die Kinder auf der Rückbank ihre Kekse.
Irgendwann erscheint Rügen auf den Hinweisschildern und die moderne Rügenbrücke, Deutschlands größte Schrägseilbrücke, am Horizont. Vier Kilometer ist sie lang, der imposante Pfeiler fast 130 Meter hoch. Wir fahren etwa 40 Meter über dem Wasser und genießen den Meerblick zu beiden Seiten. Ein kurzes Vergnügen, dann sind wir auf Rügen. Weiter geht es auf der Alleenstraße, uralte Bäume stehen Spalier. Einst gepflanzt als Schattenspender für Postkutschen, sind sie heute Willkommensgruß und freundlicher Ausbremser. Hier wird direkt entschleunigt.
Challenge: Einkaufen!
Doch vor den Urlaub hat der Wohnmobilist das Einkaufen gesetzt. Unerwartet wird dies zur Herausforderung. Wir finden einfach keinen Parkplatz für unsere 7,35 Meter. Vom Stellplatz für die Bäderbahn – diesem niedlichen Zwitter aus Lok und Bus – werden wir schnell hupend vertrieben. Alle anderen Pkw-Parkplätze sind einfach zu kurz. Also stellen wir uns direkt vor den Supermarkt – und kaufen in einem Eiltempo ein, als müssten wir eine Wette gewinnen. Am Ende haben wir die Hälfte vergessen.
Unser Stellplatz auf dem Campingplatz „Dat Stranddörp“ in Lobbe, zu dem ein hippes Seemanslogo weist, hat zumindest schon mal eine anständige Größe. Zwei kleine Bäumchen spielen Concierge, links steht eine kleine Hecke, rechts ein Dauercamper aus Sachsen, wie die Fahne mit dem Freistaatlogo verrät. Das Einparken rückwärts wird zur Show für den halben Campingplatz. Kinder kommen herbei gelaufen, in der Hoffnung, dass etwas kaputt geht. Eltern bringen ihre Autos in Sicherheit, ein Hund wird angeleint.
Doch dank der eingebauten Einparkkamera und den freundlichen Ermunterungen unserer Nachbarn – „nu macht schon!“ – manövrieren wir das Gefährt auf seinen Platz, ohne dass irgendein Schaden entsteht. Wir fahren die Markise aus, stellen die Bänke darunter, schließen den Strom an und – laufen erstmal an den Strand.
Der Strand ist eine kleine wilde Schönheit, die sich in eine überschaubare Bucht ergießt und linkerhand von einer niedrigen Steilküste flankiert wird. Der Campingplatz liegt direkt dahinter – wird aber von einer viel befahrenen Straße durchschnitten. Wer zu spät bucht – wie wir –, muss diese Straße überqueren, will er an den Strand, und dabei neidisch auf alle Camper blicken, die gleich hinter der Düne sitzen. Was wir nicht ahnen: Sehr bald sollen auch wir auf Wasser gucken.
Der Härtetest
Des Nachts nämlich werden wir von einem donnernden Plätschern geweckt, dass klingt, als hätte uns jemand heimlich in eine Waschanlage gefahren. Doch vor dem Fenster hängt weiterhin deutlich erkennbar die Sachsenfahne, wenn auch etwas durch. Es regnet. Und wie. Die ganze Nacht, den ganzen nächsten Tag. Die Pfützen auf den Wegen wachsen sich zu Seen aus. Erinnerungen werden wach, an damals, im nassen Zelt auf Rügen. Dass wir ans Wasser wollten, war so nicht gemeint.
Es ist der Härtetest für das Wohnmobil. Denn jetzt muss es zeigen, was es im Gegensatz zum Zelt alles drauf hat. Und das ist eine ganze Menge. So muss niemand durch den Regen zur Dusche oder zur Toilette, es ist alles an Bord. Die drei Kochplatten ersetzen das Restaurant. Und tja, der Fernseher. Hatten wir bei der Übergabe noch geunkt, wozu bräuchten wir einen Fernseher, sei gerade WM? Nun, im Regen leistet er gute Dienste. Und es ist tatsächlich WM. Frauenfußball. Die Männer kleben vor der Klotze.
Am nächsten Tag regnet es immer noch. Zeit für Lektüre. Zeit für die Gebrauchsanweisungen. Die Toilette muss ohnehin geleert werden. Und so geht es in der sehr jungen Beziehung zu unserem Wohnmobil nach der ersten Phase der Begeisterung gleich mal um unangenehme Fragen. Ans Eingemachte. Vielleicht wird es sogar kompliziert. Warum auch nicht? Zu wissen, woran man ist, hat seine Vorteile.
Kann es auch schwimmen?
Da wir schon mal dabei sind: Wie funktioniert das eigentlich mit dem Wassertank, dem Abwasser, dem Frischwasser? Wann muss die Gasflasche gewechselt werden? Und welche Funktionen unseres Wohnmobils haben wir vielleicht noch gar nicht entdeckt? „Kann es schwimmen?“, fragt der Mann da mit Blick auf die wachsenden Seen um uns herum.
Am nächsten Tag scheint endlich die Sonne. Rauf aufs Rad. Direkt hinter dem Zeltplatz führt ein Weg zum Reddevitzer Höft, der dünnen Landzunge, die hinter dem beschaulichen Alt-Reddevitz vier Kilometer weit in den Bodden ragt. Ein Plattenweg führt zur Zungenspitze und beschert nahezu lückenlos Meerblicke. Kornblumen, Mohn und Sonnenblumen bilden Farbtupfer vor tiefdunklem Blau. Und von wegen: Sonnenblumen richten ihre Köpfe nach der Sonne. Hier schauen sie aufs Meer!
Abends treiben uns die Mücken ins Wohnmobil. Ganz Deutschland leidet in diesen Tagen unter den Plagegeistern. Es wird der Sommer, in dem Urlaubsrückkehrer ihren Kollegen nicht stolz ihre braune Haut präsentieren, sondern mit gequälter Miene Dutzende Mückenstiche. Genervt vom Dauersummen der Blutsauger sind wir anfällig für Restzweifel: Wäre es im Hotel nicht besser gewesen? Weniger Aufwand, weniger Mücken, mehr Platz?
Zeit der Zweifel
Mehr Kosten wären es zumindest nicht. Ein Stellplatz für das Wohnmobil auf einem Campingplatz, zwei Erwachsene und zwei Kinder kostet – inklusive Strom – etwa 40 Euro pro Nacht. Das Wohnmobil an sich kommt noch dazu. Und die versprochene Mobilität gilt auch nur bedingt: Wer den Komfort eines Campingplatzes den Parkplatzfair eines reinen Wohnmobilstellplatzes vorzieht, sollte sich Wochen vorher sein Plätzchen reservieren und am besten direkt buchen. Spontan sein, geht nicht. Zumindest nicht in der Ferienzeit.
Bei der Reiseplanung am Schreibtisch hatten wir uns zwei Campingplätze ausgesucht – und nach fünf Tagen wechseln wir den Stellplatz. Es geht nur vier Kilometer weiter: nach Gager, einem verträumten Ort am Bodden in bezaubernder Landschaft. Bevor wir uns auf dem Campingplatz einrichten, halten wir am Hafen, um den Ausblick zu genießen. Die Yachten zur einen Seite, den weiten Bodden zur anderen. Und dort, hinter der kleinen Dorfsilhouette erheben sich die Zickerschen Berge, eine niedliche Hügelkette, die uns ans tolkiensche Auenland erinnert.
Wir stellen die Stühle raus, kochen Kaffee und entdecken die Vorteile des Wohnmobilreisenden: Man kann vielleicht nicht überall sein Nachtlager aufschlagen, wo man es gern täte, aber man kann nahezu überall sein eigenes Privat-Café eröffnen. So schön und ruhig ist es hier, wir könnten ewig sitzen bleiben. Aber unser gebuchter Stellplatz liegt nur wenige Meter weiter. Wir reißen uns los.
DDR-Flair und viel Ruhe
Der Campingplatz in Gager macht gerade einen Betreiber- und Imagewechsel durch. Auf dem etwas zu groß geratenem Schild am Eingang steht der neue Name „Mönchgut Camping“ in einer Schrift, die gerade sehr angesagt ist und an die 1950er erinnert, während alles dahinter eher an die 70er und 80er denken lässt – an Zeiten, als erholungsuchende DDR-Bürger auf Zeltplätzen, jenseits der staatlichen Reglementierwut, etwas Freiheit und Ruhe fanden.
Freiheit und Ruhe finden auch wir: Hier werden keinen abgegrenzten Stellplätze vermietet, ein kleines Nummernschild an einem Pfosten gibt lediglich etwas Orientierung. Im Schutz hoher Bäume nehmen wir Quartier und fühlen uns schnell heimisch. Vor uns öffnet sich der Platz, wird Spielwiese für die Kinder und Plaza für die Camper. Dahinter rufen die Berge. Also Schuhe an und los.
Unsere Erwartungen sind etwa so hoch wie die Zickerschen Berge, also nicht sehr groß. Daher dauert es nicht lange und wir sind überwältigt. Gleich zu Beginn des Wanderweges, der uns über den Bakenberg und Groß Zicker zum Nonnenloch am Strand führen wird, zieht sich ein gigantischer Blumenteppich über den Hügel. Es blüht, duftet und summt. Der Hügel dahinter ist komplett grün und bildet einen erstaunlichen Kontrast. Wir stehen da und staunen. Trockenrasen sind das, lesen wir später auf einer Tafel. Hier haben sich die Pflanzen an den nährstoffarmen Standort angepasst und eine erstaunliche Artenvielfalt hervorgebracht.
Wo Rügen am schönsten ist
Am folgenden Tag laufen wir gleich noch mal los. Diesmal nach Klein Zicker, auf die benachbarte Halbinsel, vorbei an den Autokolonnen, die zum Rügenmarkt in Thiessow wollen, und dem Strand, den die Kitesurfer für sich entdeckten. Am Ende der Dorfstraße geht es rechterhand einen kleinen Berg hinauf und von oben schauen wir runter auf das offene Meer, das gerade mit sämtlichen Blautönen spielt. Jemand hat uns gesagt, Rügen sei auf dem Mönchgut am schönsten. Wir geben ihm recht.
Nach jedem Ausflug kehren wir zurück zu unserm Wohnmobil, unserem Hafen in der Fremde, unserem Heim auf Zeit. Wir könnten weiter, wenn wir wollten, aber wir wollen nicht. Hier ist es schön.
Und dann ist da dieser Moment – wie das so ist in jungen Beziehungen – wenn man merkt, es könnte etwas Ernstes werden. Die Abendsonne scheint durch das Dachfenster, auf dem Herd brutzelt die Flunder, die uns der netteste Fischer der Welt am Vortag im Hafen verkaufte, eine leise Musik spielt. Das Wohnmobil und ich – ja, vielleicht sollten wir uns wieder sehen. Eine gute Zeit haben, Landschaften erfahren, die Natur genießen. Warum eigentlich nicht.
jes.
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Dünenzeit und wurde unterstützt vom Wohnmobilhersteller LMC Caravan. Bei dem Leihwagen handelte es sich um den EXPLORER 710 Premium.
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