Sandburgen bauen macht nicht nur Kindern Spaß. Wie man das Beste aus dem Sand rausholt, nebenbei wunderbar abschaltet – und dabei leicht etwas Verbotenes tut.
Der Strand von Binz tut wirklich alles, um den Menschen zum Müßiggang zu verleiten. Träge liegt er in der Sonne und lässt ungerührt alles mit sich anstellen wie eine Katzenmutter, auf der die Jungen turnen. Man könnte es wie der Strand halten und alle Fünfe gerade sein lassen. Wenn, ja wenn da nicht dieser Drang wäre, etwas zu tun. Etwas mit den eigenen Händen. Etwas Kreatives. Etwas, das man nicht alle Tage macht. Eine Sandburg also!
Doch ist das der richtige Ort dafür? In dieser Ecke Rügens wird traditionell nämlich eher geklotzt statt gekleckert. Man muss nur rechts die Promenade runter laufen und schon zieht sich der monströse Bau der Nazis die Küste von Prora entlang (über 4,5 Kilometer!). Links in Binz wird derweil die größte Sandburg der Welt gebaut (18 Meter!). Und irgendwo zwischen diesen gigantischen Bauten sitzt man nun mit Eimerchen und Schaufelchen im Sand – und kommt sich ziemlich klein vor.
Doch nicht den Kopf in den Sand stecken, lieber die Hand. Es gilt nämlich, so tief zu buddeln, bis sich das Loch von selbst mit Wasser füllt und das ideale Baumaterial liefert: schön feuchten Sand. Tief und tiefer graben wir, doch von Wasser keine Spur. Als wir uns allen Erntes fragen, wo wir denn auf der anderen Seite der Weltkugel herauskämen (Neuseeland oder doch mitten im Pazifik?), da sickert endlich Wasser in das Loch. Es ist das erste Erfolgserlebnis – und vorerst das letzte.
„Konsistenz Kuchenteig”
Denn das Aufschichten des Sandschlamms zu einem Turm mag nicht so recht klappen. „Hand-Stacking-Verfahren“ nennt die Amerikanerin Lucinda Wierenga diese Methode in ihrem Buch „Sandburgen bauen“ und macht keinen Hehl daraus, dass es dafür einiger Übung bedarf. Der Trick besteht darin, den ziemlich feuchten Sand („Konsistenz Kuchenteig“) mit beiden Händen baggerähnlich aus dem Loch zu holen und nach dem „Draufklatschen“ auf das Fundament so mit den Händen zu „rütteln“, dass die einzelnen Sandkörner ihren Weg finden und sich das Material quasi selbst verdichtet. Meterhoch könne man auf diese Art bauen – und das ganz ohne Hilfsmittel.
Klingt gut, funktioniert aber nicht. Kaum sind ein paar Schlammfuhren aufeinander, bricht ein Teil des Turms weg. Was stehen bleibt, erinnert eher an prähistorische Ruinen statt an ein stolzes Türmchen. Ernüchterung macht sich breit. Immerhin: Die Bauvorschriften wird man auf diesem Weg problemlos einhalten.
Tatsächlich gilt für Strandburgen in Binz eine Höhenbegrenzung von 30 Zentimetern. So steht es in der Strand- und Badeordnung, die zuletzt 2012 geändert wurde. Selbst „das Graben von Löchern und Tunneln ist verboten“, ebenso die „Verwendung fester Bestandteile wie Treibholz, Steine, Bretter“. Bewegt man sich also mit seiner Burg, auf deren Türmchen womöglich ein Fahnenmast aus einem Treibholzstöckchen thront, auf streng verbotenem Terrain?
Strandburg versus Sandburg
Das „R“ macht den Unterschied: Strandburg oder Sandburg? Mit Strandburgen sind in der Regel nicht die Phantasiebauten der Kinder gemeint, sondern die großen Wallanlagen, mit denen viele Familien seit Ende des 19. Jahrhunderts ihr Revier am Strand abstecken und die irgendwann an den deutschen Stränden so populär wie zahlreich wurden, dass sich viele Gemeinden gezwungen sahen, diesen einen Riegel vorzuschieben.
Auf Sylt zum Beispiel wuchsen nicht nur die ausufernden Burganlagen um die Strandkörbe (bereits 1885 zeigten Postkarten den Westerländer Strand mit zahlreichen Burgenbauten), sondern gefährdeten auch den Küstenschutz. Weil die Sylter fürchten, dass durch Strandburgen der Sand zusätzlich abgetragen wird, sind diese hier nun komplett verboten. Wer zuwider handelt, riskiert ein Bußgeld.
Aber vermutlich würde es auch ohne Verbot keine Strandburgen auf Sylt mehr geben. Spätestens seit den Neunzigern sind diese Terrainmarkierungen an der Küste völlig out und ihr Versanden beschäftigte sogar die Wissenschaft. Sollten die Bauten einst angesichts der Weite des Meeres ein Stück Sicherheit sowie Privatsphäre in der Fremde bieten, übernahm bald die Strandmuschel diese Funktionen.
Ackern statt Faulsein
Für den Kulturhistoriker Harald Kimpel war der Bau von Strandburgen zudem ein probates Mittel gegen den „anrüchigen Müßiggang“. Faul in der Sonne braten lag dem Deutschen nämlich lange nicht. Es galt, „Freizeit in Arbeitszeit zurückzuverwandeln“. Mit dem Burgenbau, so erklärte der Autor von „Die Strandburg: Ein versandetes Freizeitvergnügen“ einst der ZEIT, habe der Urlaub am Meer „einen praktischen Sinn bekommen“.
Heute tut man sich mit dem Faulenzen offenbar weniger schwer. „Das Urlaubsverhalten hat sich verändert“, so Kimpel, „man ist heute viel mehr auf Animation aus, möchte gar nicht mehr selbst aktiv werden. Man lässt sich lieber etwas vormachen, als dass man selber Hand anlegt.“ Sollen also die anderen im Sand wühlen! Und vielleicht ist damit auch sogleich der Erfolg der Sandskulpturen-Events erklärt, die es an der Küste immer häufiger gibt.
Auf Rügen, zum Beispiel. Im diesjährigen Jubiläumsjahr zeigt das Sandfest ein „Best of“ aus zehn Jahren Sandschnitzerei. Da steht ein lebensecht wirkender Johnny Depp in „Fluch-der-Karibik“-Maske neben einem fantastisch in die „Matrix“ geschnitzten Keanu Reeves, grinst ein riesiger gestiefelter Kater mit einem gigantischen Froschkönig um die Wette, tanzen Mogli und Balu gegenüber vom König der Löwen durch den Dschungel. Wer eher an Bauten interessiert ist, kommt vor dem Taj Mahal, Cinderellas Märchenschloss oder der Altstadt Stralsunds zum Staunen.
Die Kunst der Profis stellt natürlich alles in den Schatten, was unter gleißender Hitze am Strand mit profanen Mitteln aufgehäuft wird. Doch in Konkurrenz dazu tritt sie nicht, entsteht sie doch unter ganz anderen Bedingungen. Bevor die Künstler ihr Werkzeug zücken, wird der Sand nämlich Schicht für Schicht in so genannten Mallen – Holzverschalungen ohne Böden – gefüllt, gestampft und gerüttelt, und dabei so stark zusammengepresst, dass man ihn danach leicht schnitzen kann. Compacten nennt man das.
Stapelbarer Sand
Auch nehmen Profis keinen Sand vom Strand, denn dessen Körner sind zu fein und zu rund. Stattdessen lassen sie sich scharfkantigen jungen Sand aus dem Landesinneren herankarren, der sich leicht „stapeln lässt“, weil seine Form eher Würfeln als Murmeln ähnelt. Der für Binz etwa wird zum Teil aus den Niederlanden herangekarrt, zum Teil aus Zirkow auf Rügen.
Der Laie kann es also getrost auf den Sand schieben, wenn die Burg am Strand nicht Gestalt annehmen will. Doch vom Compacten kann er etwas lernen. Das geht nämlich auch mit Eimerchen am Strand. Sehr gut eignen sich Plastikeimer aus der Großküche. Einfach bis zum Rand mit einem Sandwassergemisch aus der Grube füllen, die Masse fest klopfen, die Form stürzen wie beim Gugelhupf, langsam hochziehen und – der Sandblock steht wie eine Eins.
So wird eine Burg draus
Architektonisch erinnert er allerdings eher an einen Hochbunker statt eine Märchenburg. Das mag zu den Nazibauten im nahen Prora passen, soll so aber, im Gegensatz zu denen, nicht stehen bleiben. Drei weitere Türme in den Sand gesetzt, vier Mauern hochgezogen, mit Muscheln, Federn und Steinchen verziert – so wird eine Burg draus. Bald vergisst man Raum und Zeit. Burgenbauen, so erfährt man jetzt, entspannt auf ganz besondere Art.
Besonders hoch ist der Bau am Ende zwar nicht geworden, doch hoch bauen hier in Binz ohnehin schon die anderen. Und zwar richtig hoch. 17,66 Meter wurde die Sandburg auf dem Areal des Sandfestes und kam damit ins Guiness Buch der Rekorde. Bereits zwei Jahre zuvor wurde der Rekord versucht. Drei Wochen lang hatten 18 Sandskulpturenbauer das 16 Meter hohe Kunstwerk modelliert – bevor vier Tage vor der Fertigstellung plötzlich ein Teil einsackte. „Wir haben zu steil gebaut“, musste Sandfest-Chef Thomas van den Dungen einsehen und ließ das Fundament beim zweiten Versuch einfach breiter anlegen. 11.000 Tonnen Sand wurden aufgeschichtet, 150.000 Euro hat die Riesenburg verschlungen. Mehr Tipps vom Profi gibt es hier.
Die eigene Burg schafft es zwar nicht ins Guiness Buch, dafür jedoch ins Fotoalbum.
jes.
Ihr wollt nach Binz? Dann lest hier: 7 Gründe dafür und 3 dagegen
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift DÜNENZEIT Ostsee, Ausgabe Sommer 2019. Die Zeitschrift mit Reportagen und Ausflugstipps für die Küsten von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gibt es zum Preis von 6,50 Euro am Kiosk oder hier online.
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