Als Sprecherin der Vineta-Festspiele in Zinnowitz beschäftigt sich Martina Krüger seit mehr als 20 Jahren mit der versunkenen Stadt. In ihrem Buch „Vineta Trugbilder“ hat sie sich auch als Autorin mit dem Mythos auseinandergesetzt.
Zweiküsten: Frau Krüger, was fasziniert Sie so an der Sage von Vineta?
Martina Krüger: Zunächst ist es eine schöne Geschichte. So hat sie, wie bei Sagen eher unüblich, gleich drei Zeitebenen. In der Jetzt-Zeit erscheint dem Jungen Vineta. Von der Vergangenheit der Stadt berichtet der alte Mann, den der Bube daraufhin trifft. Und auch einen Blick in die Zukunft gibt es: Denn alle hundert Jahre hat ein Sonntagskind die Chance, die Stadt zu erlösen.
Was hat uns die Geschichte von Vineta heute zu sagen?
Die Lehre ist zeitlos und hoch aktuell: Eine Gesellschaft, die sich nur an ihrem Reichtum berauscht statt zu teilen, die nicht auf Warnungen hört, sich nicht nachhaltig und sozial verhält – die ist dem Untergang geweiht.
Ein großes Thema, das auch in der Kunst oft aufgegriffen wird…
Ja, der Mythos hat über Jahrhunderte bei den Menschen nicht nur Neugier geweckt, sondern viele beflügelt: Heinrich Heine, Johannes Brahms, Günter Grass, Christian Morgenstern, Uwe Kolbe, die Puhdys… Es ist wie ein perpetuum mobile, das sich immer weiter bewegt. Erst 2015 kam ein Gedichtband heraus, der den Titel Vineta trägt.
Nicht nur in der Kunst taucht Vineta immer wieder auf. Auf Usedom liest man den Namen auf Seebrücken, Hotelschildern, Schiffen…
In Zinnowitz gibt es sogar eine Baufirma, die so heißt. Das finde ich schon ziemlich kurios. Aber Vineta ist mir auch schon als Mädchenname begegnet.
Als es 1999 hieß, Vineta sei vermutlich nicht auf Usedom, sondern vor dem Zingst versunken, waren die Vineta-Festspiele in Zinnowitz gerade erst so richtig angelaufen. Wie haben Sie das damals vor Ort erlebt?
Für uns Theaterleute war das nicht so tragisch, weil wir dann auch in Barth spielen sollten, was wir anfangs auch taten. Die Bürgermeister der betroffenen Orte waren da wohl weniger entspannt. Doch so absurd die neue Barth-These auch ist, so hat sie Vineta wieder ins Gespräch gebracht. Und Barth, in dem bis dato nicht viel Kultur stattfand, bekam dadurch sein erstes Theater! So hat Vineta, das der Sage nach ja so viel Böses getan hat, auch noch was Gutes geschaffen.
Wo würden Sie als Vineta-Expertin nach der versunkenen Stadt suchen?
Ich glaube ja, Vineta hat nie existiert und ist daher auch nie untergegangen. Aber es ist ein schöner Gedanke, dass da irgendwo diese geheimnisvolle Stadt auf dem Meeresboden weiter existiert – und man einfach in sie hineingehen könnte. Wenn man sie nur fände.
Interview: Cornelia Jeske
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Buchtipp
„Vineta. Trugbilder. Eine Suche in Sagen, Chroniken, mit Spaten und Pinsel, in der Literatur und auf dem Theater“ von Martina Krüger mit Fotos von Matthias Gründling und Grafiken von Armin Münch ist ein Muss für alle, die wissen wollen, was es mit dem Vineta-Mythos auf sich hat. Erschienen ist das Buch im nordlicht verlag.de und kostet 19,90 Euro.
Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift DÜNENZEIT Ostsee, Ausgabe Winter 2020. Die Zeitschrift mit Reportagen und Ausflugstipps für die Küsten von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gibt es zum Preis von 6,50 Euro am Kiosk oder hier online.