In Lebenskrisen und Zeiten der Angst hilft eine Auszeit am Meer, sich zu sortieren und Mut zu fassen. Das haben Wissenschafter erforscht und Dichter erahnt.
Der Krieg war nur wenige Tage alt, da stand ich in den Dünen und schaute aufs Meer. Es fühlte sich nicht richtig an. Sollte ich nicht besser am Berliner Hauptbahnhof warme Suppe verteilen, daheim Decken für die Ukraine packen oder mir zumindest im Hotelzimmer vor der Glotze sämtliche Analysen reinziehen, um zu wissen, was auf mich zukommt? Ich fühlte mich fehl am Platz: Die Welt ging vor die Hunde und ich stand am Strand!
Ich schloss die Augen, als könnte das irgendwas ändern. Doch das Rauschen der Wellen drang unermüdlich an meine Ohren. Ich atmete tief ein und lange aus (weil man das am Meer ja so macht) und lauschte dem Kommen und Gehen der Wellen. Deren Rhytmus war meiner Atmung sehr ähnlich (Welle kommt — atme ein, Welle geht – atme aus), nur viel lauter.
Ich musste an den Yogalehrer denken, der hörbar ins Mikro atmet, damit seine Schüler:innen es ihm nachtun. Und ich folgte: Ich synchronisierte meine Atemzüge mit den Wellenbewegungen, es war ganz einfach. Bald wurde ich ruhiger, mein Herzschlag gemächlicher. Und ist es nicht das, was Psycholog:innen in Krisen als allererstes empfehlen: ruhig und bewusst zu atmen?
Ich bin nicht die erste, der die See beim Atmen hilft. Seit Jahrzehnten schon wird das Meeresrauschen in Vinyl geritzt oder auf CDs gepresst. Komopositionen aus Wellengeräuschen und einlullenden Melodien – ein wahrer Klassiker ist die von Martin Buntrock – helfen in Wellnesstempeln und Zahnarztpraxen den Leuten dabei, zu entspannen. Auch bei Geburten und in der Sterbebegleitung erklingen sie, begleiten Kommen und Gehen von Leben.
Weniger Schmerzen, weniger Stress
Doch das Wellenrauschen kann weit mehr: Vor einem Jahr veröffenlichten Wissenschaftler der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften die Ergebnisse ihrer Analyse von insgesamt 36 Studien, die den gesundheitlichen Nutzen von Naturgeräuschen untersuchten. Demnach erleben Menschen in einer natürlichen Geräuschkulisse – im Wald, an einem Bach oder am Meer – nicht nur weniger Schmerzen und Stress, es verbessert sich auch ihre Stimmung und die kognitive Leistung. Wassergeräusche wirken sich zudem positiv auf den Blutdruck aus.
„Natural acoustic environments provide indications of safety or an ordered world without danger, allowing control over mind states, reduction in stress-related behavior, and mental recuperation,“ schrieben die Autor:innen. „Ein Gefühl von Sicherheit oder einer geordneten Welt ohne Gefahr“ – nie war das nötiger als jetzt!
Das Gehirn arbeitet anders
Vor fünf Jahren zeigte eine britische Studie, wie natürliche Klänge unsere Gehirnaktivität beeinflussen. Dabei wurden die Probanden künstlichen sowie natürlichen Sounds ausgesetzt. Naturgeräusche lenkten ihre Aufmerksamkeit nach außen und führten zur Entspannung. Künstliche Geräusche indes veränderten die Gehirnaktivität derart, dass sich die Probanden plötzlich mehr auf sich selbst konzentrierten, dadurch weniger aufmerksam waren und nicht so gut Stress abbauten.
„Naturgeräusche haben also gleich drei Effekte auf einmal”, schrieb Henning Beck in Geo, „sie scheinen unser Gehirn so zu aktivieren, dass wir unseren Gedanken freien Lauf lassen können, aufmerksamer sind und gleichzeitig Stress abbauen.“ Diesen Effekt wusste sogar schon Rainer Maria Rilke (1875–1926) für sich zu nutzen: „Wenn bange, unruhige und böse Gedanken kommen, so gehe ich ans Meer, und das Meer übertönt sie mit seinen großen, weiten Geräuschen, reinigt mich mit seinem Lärm und legt einen Rhythmus allem in mir auf, was verstört und verwirrt ist.“
Das Meer befreit den Geist
Aber das Meer ist nicht nur was für die Ohren, sondern für sämtliche Sinne. Das Meer ist Weite, ist Horizont, ist Sonne und ganz viel blau. Das Lichtwellenspektrum der blau-grün-türkisen Meeresfarben, so fanden Wissenschaftler heraus, wirke beruhigend, entkrampfend und stressmindernd. Oder, wie Goethe sagen würde: „Das freie Meer befreit den Geist.“ Schön auf den Punkt brachte es auch Carl Peter Fröhling: „So groß und einfach die Welt am Strand, nur Wind und Wolken, nur Meer und Sand.“
Wo sich die Landschaft derart auf das Wesentliche konzentiert, schafft das auch der Mensch. Nicht ohne Grund zog es mich in meinen schwierigen Zeiten immer ans Meer. Den Kopf frei bekommen, Gedanken ordnen, Kraft tanken, nach vorn schauen – all das geht am Meer wie von selbst. Doch ob es auch in diesen Tagen helfen würde, wo nicht nur meine kleine, sondern die große Welt durcheinandergeraten war? Wohin mit all der Ohnmacht – und der Angst?
Ich ging ein paar Schritte und schaute den Wellen dabei zu, wie sie auf den Strand rollten. Mal machten sie nur einen kleinen Bogen, dann liefen sie weit über den Sand, so dass ich fast nasse Füße bekam. Aber egal, wie viel Wasser das Meer auch bewegte – es tat etwas, permanent, ohne Unterlass. Empfiehlt man nicht genau das auch bei Traurigkeit, Angst und Ohnmacht: aktiv werden, etwas tun, bewegen; egal, wie klein oder groß die Welle ist, die man erzeugt? Am besten natürlich in Gemeinschaft: Viele Tropfen sind ein Meer. Ich hob den Kopf und schaute nach vorn – denn auf einmal hatte ich einen Plan.
jes.
Das Meer tut gut!
Übrigens braucht es keinen wochenlangen Urlaub am Meer, um sich zu sortieren und zu Kräften zu kommen. Ein Tag am Meer reicht auch, oder zwei. Hilfe bei der Wahl der Destination geben wir hier, Tipps für Hotels, Pensionen und Ferienhäuser dort.
Wenn man momentan nicht wegkommt, funktioniert auch ein Trip in Gedanken. Wie gut, dass man sich Geräusche einfach ins Haus holen kann – in meinem Haushalt, zum Beispiel, schreit eine Plüschmöwe auf Knopfdruck maritim auf (und ist der einzige Krachmacher im Kinderzimmer, auf den Erwachsene nicht mit genervtem Augenrollen reagieren). Doch auch andere nützliche Dinge können dabei helfen, das Meer mal kurz in den Alltag zu holen:
Klassiker der Komm-Runter-Mucke: Seit Anfang der 1990er-Jahre komponiert Martin Buntrock spezielle Musiken für verschiedene Entspannungstechniken, die vielseitig angewendet werden. Zuletzt hast du seinen Meer-Mix vermutlich in der Sauna oder im Massagestudio gehört.
Wellenrauschen to go: Diese kleine Box kannst du überall mithinnehmen, wo dir das Geräusch des Meeres helfen soll – beim Einschlafen, beim Yoga, bei der Gedankenreise zwischendurch. Neben dem „Ocean“-Sound gibt es verscheidene weitere White-Noise-Geräusche sowie Einschlaflieder für die ganz Kleinen. Neun Stunden hält der Akku, Kabelbetrieb geht natürlich auch.
Unterwasser im Trockenen: Nicht nur den Sound, sondern auch das entsprechende Ambiente schafft dieser Projektor, der (neben verschiedenen anderen Lichtspielen) die geheimnisvolle Unterwasserwelt an deine Wände beamt. Abtauchen, ohne das Zimmer zu verlassen! Und nicht nur das: Auch bei Partys daheim sorgt das Gerät für cooles Licht.
Meer trinken: Schon die Dosen von „Trink Meer Tee“ machen Laune. Doch auch der „Bio-Tee von der Küste” schmeckt ganz fantastisch. Tipp: Am besten alle Sorten mal ausprobieren und den Lieblingstee immer dann parat haben, wenn das Meerweh kommt.