Sie war Direktorin des kleinsten Zoos der DDR und führt heute mit ihrem Mann eine der schönsten Pensionen in Heringsdorf. Wir sprachen mit Christine Zimpel über unerwartete Lottogewinne, überraschende Entdeckungen beim Umbau und Hausbesitzer, die in ihrer Villa nicht wohnen durften. Ein Protokoll.
„Am Anfang stand das Rot. Der Eingangsbereich musste rot werden, so viel stand für mich fest. Mein Mann war skeptisch. Dann müssten wir aber für den nächsten Raum eine stille Farbe wählen, meinte er. Wir einigten uns auf grün. Später kamen wir noch auf Blau, für den anderen Raum. Als wir die drei Farben hatten, fingen wir an, zu sanieren. Wir rissen Löcher ein und Tapeten ab.
Als wir dort, wo früher die Veranda war, alle Schichten abgeschabt hatten, kam darunter plötzlich die ursprüngliche Wandbemalung ans Licht. In blau, rot und grün. Wir staunten nicht schlecht. Die drei Farben, die wir uns ausgesucht hatten, waren schon im Haus! Was diese Entdeckung aber auch zeigte: Je länger du dich mit einem Haus verbunden fühlst, desto genauer gibt es dir seine Informationen.
Seit den 1950er-Jahren ist die Villa im Familienbesitz: Meine Schwiegermutter hatte damals im Lotto gewonnen und von dem ganzen Geld dieses schöne Haus gekauft. Der Lottogewinn war mehr als Glück, es war ausgleichende Gerechtigkeit: Erst 1953 wurde die Pension der Familie, das Haus „Ingelotte“ in Bansin, verstaatlicht – in jener fragwürdigen „Aktion Rose“, in der unschuldigen Hotelbesitzern kriminelle Straftaten unterstellt wurden, um an ihren Besitz zu kommen.
Allerdings sollten meine Schwiegereltern nie in der Villa wohnen. Die sozialistische Wohnungsverwaltung gab vor, wie groß eine Wohnung für drei Personen maximal sein durfte, und die Etagen im Haus waren mit ihren 120 qm nach DDR-Standard viel zu groß. Also zogen andere Mieter ein – über Jahrzehnte war die Villa ein reines Mietshaus.
Meine Schwiegereltern wohnten im Anbau und fungierten als Hausmeister. Dort war dann auch Platz für ein paar Pensionszimmer, die zu DDR-Zeiten illustre Gäste beherbergten. So wohnten hier etwa Gojko Mitic, die ostdeutsche Antwort auf Pierre Brice, oder der Schauspieler Fred Delmare, der eigentlich Werner Vorndran hieß und sich bei seinem Künstlernamen von seiner Liebe zum Meer inspirieren ließ.
Ich bin in Görlitz geboren, im Erzgebirge zur Schule gegangen und kaum war ich zehn Jahre alt, da wusste ich: Ich will am Meer leben. Weil ich drei, vier Mal zuvor in Binz war. Viele Jahre später, ich studierte damals in Berlin, war mein Vater zur Kur in Heringsdorf und ich besuchte ihn. Wir saßen in einem Restaurant und als mein Vater zu seiner Anwendung aufbrechen musste, betraten zwei attraktive Männer das Lokal. Der eine fiel allerdings direkt bei mir durch, weil er ein rosarotes Hemd trug, das war damals ziemlich uncool. Mit dem anderen Mann bin ich heute seit 37 Jahren verheiratet.
Ich hatte verschiedene Jobs auf der Insel, so war ich lange Jahre Direktorin des kleinsten Zoos der DDR, dem Tropenhaus in Bansin. Mein Mann führte das Fuhrunternehmen seiner Eltern weiter. Zu Beginn der 1990er-Jahre zogen wir mit unseren beiden Töchtern in die untere Etage der Villa Dorothea in Heringsdorf. Als einige Jahre später die Mieter der oberen Etage auszogen, schmissen wir dort am 18. Geburtstag meiner Tochter eine große Party. Wir hatten viel zu feiern: Unsere Tochter war volljährig und wir hatten endlich das Haus für uns und konnten planen.
Wir überlegten lange, was wir mit der unteren Etage machen sollten. Eine Rechtsanwaltskanzlei? Ein Zahnarzt? Doch uns war schnell klar, dass diese schönen Räume viele Leute sehen und erleben müssten. Also beschlossen wir, Frühstücks- und Seminarräume einzurichten. Das fehlte auch noch: Sechs Pensionszimmer hatten wir zu der Zeit ja schon. Jetzt sollten unsere Gäste einen Raum zum Frühstücken bekommen.
Im Jahr 1999 kauften wir das Haus Hedwig, ein hübsches kleines Wohnhaus, erbaut 1879, keine zwei Gehminuten von der Villa Dorothea entfernt. Wir bauten um, legten die ursprünglichen Dielen frei, behielten die historischen Fenster- und Türelemente und richteten vier Apartments mit Großmamas Möbeln ein. Heute bewirtschaften wir insgesamt 14 Zimmer und Apartments. Zwar haben die Gäste im Haus Hedwig jeweils eine voll ausgestattete Küche. Doch manche kommen trotzdem herüber in die Villa Dorothea – um den Raum zu genießen, ein Buch zu lesen.
Die Villa Dorothea wurde um 1900 von Malermeister Max Arndt erbaut. Auf diesem Bild sieht man ihn mit seinem Sohn am Strand von Heringsdorf. Dass ich dieses Bild überhaupt habe, ist ein kleines Wunder. Und einer Zufallsbekanntschaft zu verdanken. Eine ältere Dame aus Wien kam immer in den Sommermonaten auf die Insel. Wir freundeten uns an, ich half ihr bei den Einkäufen. Und sie erzählte mir aus ihrem Leben. Wie ihr Vater den ersten Postkartenverlag in Wien gegründet hatte. Wie die Familie die Sommer in Heringsdorf verbrachte. Wie die jüdische Familie im Krieg in die Staaten emigrieren musste. Wie aus ihrem Bruder ein Nobelpreisträger wurde. Ich hing an ihren Lippen.
Eines Tages, da kannten wir uns bereits drei Sommer lang, fragte sie mich, wo ich denn eigentlich wohnen würde. „Ach,“ rief sie dann aus, „das ist doch das Arndsche Haus! Soll ich ihnen mal was verraten? Das war der beste Freund meines Vaters!“ Dann kramte sie in ihrer kleinen Lackledertasche, die von außen ganz kaputt war, drinnen aber Platz für ihr ganzes Leben bot. Ständig förderte sie daraus „Beweisstücke“ heraus, die ihre Erzählungen stützten. Jetzt holte sie dieses Foto heraus, tippte auf das dunkelhaarige Mädchen am Bildrand und den Jungen: Das bin ich mit meinem Bruder. Die alte Dame trug dieses Foto immer bei sich.
Nicht nur das Foto erinnert an den Häuserbauer. Auch dieser Gartenzwerg. Denn der wurde einst nach dem Konterfei von Max Arndt gefertigt. Viele Jahre lag der da, wo er hingehört, im Garten – unbeachtet und über die Jahre immer mehr verdreckt. Unsere Tochter, die gelernte Restauratorin ist, hat sich seiner eines Tages angenommen und dafür gesorgt, dass das alte, charaktervolle Gartenzwerggesicht wieder sichtbar wird. Er liegt nun hier im Fensterbrett, vor Wind und Wetter geschützt. Einige Gäste behaupten nun allerdings, dass mein Mann dem Zwerg immer ähnlicher wird.“
Protokolliert von jes.