An der Ostseeküste ist ein wahrer Goldrausch ausgebrochen. Mit dabei: ein paar der reichsten Männer der Republik. Die einen machen ihre Träume wahr, die anderen probieren völlig neue Geschäftsmodelle aus. Die einen setzen auf Luxus, die anderen auf Coolness. Ein Überblick.
Prora am Strand zwischen Binz und Sassnitz, der ewige Betonkoloss aus der Nazi-Zeit. 4,5 Kilometer Stahlbeton, acht Blöcke mit je zehn Häusern, die sich wie ein gekrümmter Kamm durch den Wald ziehen. Für die Nazis das „schönste und größte Seebad der Welt“, nie in Betrieb genommen, für Architekt Daniel Libeskind „das gebaute Böse“. 10 000 Zimmer, jedes mit Seeblick. „Wie im Ostfriesenbus, alle sitzen vorn“, sagt ein Makler.
Prora soll Superseebad werden, mit Jachthafen. Das „größte touristische und städtebauliche Projekt Europas“, sagt Kai Gardeja, Tourismuschef von Rügen. Er schätzt, dass es irgendwann 17000 Betten gibt, also Binz mal zwei. Ein Steuerspar-Eldorado ist Prora schon jetzt: Wer im Denkmal wohnt, darf 90 Prozent der Sanierungskosten abschreiben, der Quadratmeter kostet bis zu 10 000 Euro.
Der Mann, der als einer der Ersten das Potenzial erkannt und zugeschlagen hat, ist Ulrich Busch, Sohn des DDR-Liedermachers Ernst Busch, „das singende Herz der deutschen Arbeiterklasse“. 2006 kauft Busch Block 1 und 2, ohne Baugenehmigung, für 455 000 Euro – so viel kostet hier heute eine Wohnung. Die Binzer sind irritiert: Für manche ist er „einer von ihnen“, für andere „der rote Kapitalist“, Verräter der sozialistischen Idee. Jedenfalls ist er einer der wenigen aus dem Osten, die groß in Prora einsteigen.
„Das Gebäude kann man lieben oder hassen“, sagt Busch, „dazwischen gibt es nichts.“ Vermarktet wird das Ganze als Immobilie für „alle, die sich Großes vorstellen können.“ Ein Hotel hat schon geöffnet. Ferienwohnungen lassen sich über Novasol mieten, Nordeuropas größten Anbieter.
Block 2 hat Busch zwar an eine Investorengemeinschaft verkauft, bei der letzten großen Bieterschlacht um Block 5 mischt er aber mit. In Block 3 baut ein Steuerberater aus Wuppertal, Rolf Hoffmeister, „Strandresidenzen“. Block 1 gehört jetzt einer Firma mit dem lustigen Namen Irisgerd, hinter der die Berliner Iris Hegerich und Gerd Grochowiak stehen.
Geordneter geht es da auf dem Darß zu, dem nächsten fetten Claim neben Rügen. „Tafelsilber der DDR“, die wildromantische Seite der Ostsee, grandiose Natur: Steilküste, Wald, Bodden, Meer, der legendäre Weststrand. Gefühlt gehört der halbe Darß laut Insidern Clemens Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück, Schalke-Chef und Europas größter Fleischhändler.
1000 Hektar hat er gepachtet, ein Spitzenrevier, Rot‑, Dam- und Schwarzwild, in dem schon Hermann Göring und Erich Honecker pirschten. Und weil ihm der Darß so gut gefällt, erstand Tönnies den Dünenpark Seezeichen, das Hotel Künstlerquartier und die Jugendstilvilla Elisabeth von Eicken gleich mit, beste Adresse von Ahrenshoop.
„Die in der DDR das Sagen hatten, wussten schon, wo es schön war“, sagt Eckehard Adams, Bauunternehmer aus Essen. Bereits 1993 kaufte er das einstige Gästehaus des DDR-Ministerrats in Dierhagen und machte daraus das Strandhotel Fischland. Er hat den Plattenbau entkernt, nur Marmorboden und Wendeltreppe behalten, dazu Dünensauna, Tennishalle Mega-Spa und ein Gourmetrestaurant („Ostseelounge“) gebaut.
2005 baute er das Hotel Dünenmeer, ein Luxusdorf mit reetgedeckten Landhäusern: Im Bademantel am Meer frühstücken, danach ins wohl schönste Spa an der Ostsee – die ganze Anlage kinderfrei. 90 Millionen Euro hat Adams in Dierhagen investiert, längst macht er Profit. Auch weil die Wirte an der westdeutschen Küste so lange so tief geschlafen haben.
Eleganter, schicker, luxuriöser – was im Osten geschieht, spricht sich auch an der westdeutschen Ostseeküste herum. Die ersten nobleren Hotels entstehen. Und Hotels, die man so hier noch nie gesehen hat. Die „Bretterbude“ in Heiligenhafen, das Low-Budget-Lifestylehotel für die ganz Jungen, und daneben, direkt am Strand, das etwas gehobenere Beach Motel dürften als Turbolader in Sachen Coolness an der Küste taugen.
Schon das Beach Motel in St. Peter-Ording schlug 2013 ein wie eine Bombe, das ganze Jahr über so gut wie ausgebucht, zuletzt 5,8 Millionen Euro Umsatz. Der Blockbuster der deutschen Nordseehotellerie. Graue Holzfassade, US-Ostküstenambiente, durchdesignte Zimmer. Gemacht für Besserverdienersurfer. Zeitgeist getroffen.
In Heiligenhafen wurde es ein bisschen schicker, „upmarket beachy, mehr Hamptons-Style“, sagt Hotelier Jens Skroka, gerade 40, Kind einer Hamburger Hoteliersfamilie. Ein netter, smarter Typ, der genau weiß, was er tut. Ein paar Häuser mit Ferienwohnungen baut er gleich mit, irgendwann kommt ein künstlicher See samt Sundowner-Bar hinzu. Ein Shop bietet das Design aus den Zimmern to go. Auf den Shirts der Mitarbeiter steht „Holy Harbour“. Heiligenhafen war gestern.
Wer es erwachsener mag, fährt ins Weissenhaus Grand Village zu Jan Henric „Ich kaufe das Dorf meiner Kindheit“ Buettner, dem vielleicht wildesten unter den neuen Herbergsvätern an der Ostsee. Die Haare zerzaust, Cowboystiefel. Journalistensohn. 2006 kam er aus Kalifornien zurück und saß auf zig Millionen Dollar, die er von seinem alten Arbeitgeber Bertelsmann erstritten hatte. Irgendwann fuhr er nach Weissenhaus. Die Eltern hatten in der Gegend ein Haus, er saß als Kind immer im „Erdbeercafé“. Was er vorfand, waren verfallene Häuser, eingestürzte Reetdächer, der eine oder andere Mitarbeiter mit Alkoholproblem – „Tristesse ohne Ende“. Zu verkaufen.
Er zahlt sieben Millionen Euro und wird zum Selfmade-Bauleiter. Lustig, wie er die Vorschriften aushebelt. Damit die Gäste im Restaurant „Bootshaus“ unten am Strand auch im ersten Stock essen können, deklariert er das Ganze als „vogelkundliche Beobachtungsstation mit Bewirtungsanschluss“. Auflage: ein Fernglas auf der Fensterbank.
Buettner hat sich viel in seinen Lieblingshotels abgeguckt, dem Costes in Paris oder Schloss Elmau (die 35 Grad Wassertemperatur im Pool). 50 Millionen Euro, den Großteil seines Vermögens, hat er in Weissenhaus angelegt. Nochmal gut 25 Millionen Euro sind über Kredite finanziert; den Kapitaldienst dafür muss das Hotel abwerfen. Einfach wird das nicht. 60 Zimmer sind wenig. Deshalb baut Buettner noch mal 50 Zimmer, kleiner und günstiger, „Weissenhaus für Einsteiger“.
Cooles Design, fünf Sterne, Weite, Ruhe, Suiten für 1800 Euro – das Gegenprogramm sieht so aus: Bad, Garderobe und Tisch – alles massentauglich-robustes Material aus dem Flugzeugbau, immerhin 25 Quadratmeter und ein Bett wie im Viersternehotel, 39 Euro pro Person. Alles andere – Spa, Bademantel, Frühstück – kann zugebucht werden. Willkommen in den a‑ja-Hotels, der neuesten Erfindung vom Urgestein des deutschen Tourismus, Horst Rahe (Aida Cruises, A‑Rosa). In Grömitz, Travemünde, das erste in Warnemünde.
„Es können nicht alle unterm Reetdach wohnen“, erklärt Rahe, der Wert darauf legt, dass er nicht geerbt, alles erarbeitet hat, sein Volkshotel. Die erste Reihe an der Ostsee sei besetzt. „Wer breiten Bevölkerungsschichten Zugang zum Meer bieten will, muss größer bauen.“
Doch nicht alle großen Pläne werden tatsächlich gebaut. Einen 104 Meter hohen Wohnturm, 27 Geschosse, wollte Bauunternehmer Jürgen Heinz Breuer (Baltic Bau) aus Sellin in Prora 500 Meter vom Strand hinsetzen. Wie verschobene Papierstapel wirken die Etagen im Modell, sie sollen an die Bücherverbrennung im Dritten Reiche erinnern. In unmittelbarer Nähe zum Nazi-Bau.
Doch kaum waren die Pläne auf den Tisch, war die Insel in Aufruhr. Von Ausverkauf war die Rede, vom „neuen Wachturm“, von „Immobilienjunkies“, von „Gier, die über das Hirn siegt“. Am 4. September letzten Jahren sollten die Bürger von Binz über den „Bücherturm“ abstimmen. 83 Prozent stimmten dagegen.
Autorin: Viola Keeve
Die ungekürzte Variante dieses Artikels erschien zuerst im Manager Magazin.