Noch bis zum 10. Dezember können Touristen am Kap Arkona zu Erntehelfern werden und lernen, wie man dem Sanddorn zu Leibe rückt. Denn die Power-Beere macht es dem Menschen nicht leicht. Sie wehrt sich mit Dornen gegen die Ernte und sitzt so fest am Zweig, dass man sie nicht einfach pflücken kann. Wir sind bei Sanddornbauer Ernst Heinemann in die Lehre gegangen.
Es ist nicht so, dass der Sanddorn nicht alles tut, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er winkt im Wind mit seinen üppig beladenen Ästen. Leuchtet in schönstem Orange im Sonnenlicht. Und schießt derart in die Höhe, als würde er den drei Leuchttürmen am Kap Arkona Konkurrenz machen wollen. Doch die meisten, die hier spazieren gehen, haben nur Augen für die Türme – Schinkelturm, Peilturm, Leuchtfeuer Kap Arkona – die, zugegeben, schon sehr malerisch in der Landschaft stehen.
Dabei wäre der Sanddorn allein schon Grund genug nach Kap Arkona zu kommen. Denn nirgends leuchten die orangefarbenen Beeren so schön vor dem tiefen Blau des Meeres wie hier an der Steilküste, stehen die baumgleichen Büsche so fotogen vor imposanten Leuchtfeuern. Und wo die Kamera bereits im Anschlag ist: Schon mal ein Sanddorn-Selfie gemacht? Drei, vier reife Beeren in den Mund, draufkauen und abdrücken. Sauer macht lustige Fotos.
Und nicht nur das: Die paar winzigen Beeren decken direkt den Vitamin-C-Bedarf des gesamten Tages. Kaum eine andere Frucht hat so viel Vitamin C wie Sanddorn, etwa vier mal so viel wie eine Zitrone. Und allerlei heilende Wirkung hat er auch. Schon Dschingis Khan und seine Männer sollen auf ihren Eroberungen jeweils ein Fläschchen Sanddornöl mit sich geführt haben – zur Stärkung der Immunkräfte, als Heilmittel bei Wunden und Verdauungsproblemen.
Doch Sanddorn kann weit mehr: Er hilft bei trockener, irritierter und juckender Haut. Er wirkt bei Heiserkeit und Zahnfleischentzündungen. Er schützt das Herz und beugt Hautalterung vor. Sogar gegen Fetteinlagerungen wirkt die Beere, sowie abführend – weshalb sie in Holland auch, Achtung!, „Scheißbeere“ genannt wird. Und da sie Vitamin B12 enthält, das sonst vorwiegend in Fleisch vorkommt, ist sie auch interessant für Vegetarier und Veganer.
18 Fakten über Sanddorn, die ihr bestimmt noch nicht wusstet
Bei so viel geballter Heilkraft möchte man sich am liebsten gleich die Taschen voll packen mit den kleinen Wunderbeeren. Doch leider ist das Ernten wilden Sanddorns in der Regel verboten und ohne Utensilien (Gartenschere, Handschuhe und große Plastiktasche für die stacheligen Zweige) sowieso nicht zu bewerkstelligen.
Aber zum Glück gibt es die Sanddornplantage von Ernst und Christa Heinemann. Hier können sich Touristen nicht nur die Taschen mit Sanddornzweigen füllen – gegen einen Obolus, von dem die Hälfte für gute Zwecke gespendet wird –, sondern erfahren im Laufe des Tages, wie Sanddorn geerntet und verarbeitet wird. Das kostet nichts als die eigene Arbeitskraft, freie Kost inklusive.
Um 10 Uhr versammeln sich die freiwilligen Erntehelfer auf dem Rügenhof im Sanddornzentrum, einem sympathischen Mischmasch aus Laden, Kantine und Antiquariat. Rechterhand spannen sich Aktbilder aus vier Jahrzehnten DDR über gut sortierte Lektüre, linkerhand zeigt der Sanddorn in Flaschen, Gläsern und Tütchen, was er alles kann: Marmelade, Tee, Nektar, Bier, Likör, Gummibär, Bonbon… Dazwischen erscheint Ernst Heinemann – Sanddornbauer, Büchersammler, früherer Bürgermeister und Rügener Original mit Schippermütze.
Wenn Heinemann seine Gäste nicht direkt auf die 3,5 Hektar große Plantage zwischen Putgarten und dem Fischerdörfchen Vitt mitnimmt, führt er sie in den hinteren Raum des Backsteinbaus, wo sich eine Küche zu einem gemütlichen Gastraum öffnet und die Erntehelfer auf weichen Omasofas Platz nehmen dürfen. Doch Lümmeln ist nicht. Denn hier lernen sie, wie man dem Sanddorn zu Leibe rückt. Und das ist mühsam.
Das Geheimnis des guten Geschmacks
Da die Beeren fest am Zweig sitzen, oft zwischen spitzen Dornen, und bei Berührung auch noch schnell aufplatzen, werden sie nicht direkt am Strauch gesammelt, sondern mit dem gesamten Zweig abgeschnitten. Hier in der guten Stube müssen diese geputzt werden. Mit der Gartenschere werden sämtliche Blätter und die Dornen abgesknipst. Eine langwierige Arbeit, die sich lohnt: Käme das Blattwerk nämlich mit in die Presse, würde das den Geschmack trüben.
Sind die Zweige von Laub und Dornen befreit, kommen sie in den Tiefkühlschrank. Denn in gefrorenem Zustand lassen sich die Beeren von den Zweigen abschlagen, die hartnäckigen abpflücken. Der Rest ist simpel: Die Beeren werden ausgedrückt, am besten mit den Händen, denn das ist nicht nur effektiv, sondern hat den angenehmen Nebeneffekt, dass die Haut durch das Öl schön weich wird. Dann wird der Saft gesiebt und abgefüllt. Was vom Quetschen übrig bleibt, trocknet im Ofen stundenlang zu Tee aus.
Am Ende des Tages gibt es natürlich nichts besseres als eine Tasse warmen Sanddornsaft, leicht gesüßt, im schönsten Orange. Ein Geschmackserlebnis: Frisch, säuerlich, köstlich. Wer hat gesagt, Sanddornsaft schmecke muffig? Hier wird er eines besseren belehrt. Noch schnell ein Sanddorn-Selfie: Genießerpose jetzt, statt saurer Miene.
Tipp: Unbedingt ein paar lose Beeren mit nach Hause nehmen und dort weiterverarbeiten. In Kuchen zum Beispiel, im Joghurt oder – und dafür verwenden wir sie am liebsten – im herrlich frischen Sanddorn-Caipi. Hier geht es zum Rezept.
jes.
So leicht wird man zum Erntehelfer: Von September bis zum 10. Dezember jeweils montags, mittwochs und freitags ab 10 Uhr im Sanddornzentrum auf dem Rügenhof einfinden und mitmachen. Die Teilnahme ist kostenlos, es gibt Vollverpflegung und kleine Sanddornprodukte zum Mitnehmen. Wem eine Führung reicht, der kommt jeweils mittwochs und freitags um 13 Uhr.