An ihrem Schreibtisch in Tel Aviv schreibt Katharina Höftmann Bücher, die an der Ostsee spielen. Wie das geht, was Besuche in der Heimat mit einem anstellen und warum man trotz AfD an die Ostsee fahren soll, verrät sie im Interview.
zweiküsten: Frau Höftmann, Sie sitzen in Tel Aviv und schreiben Bücher, die an der Ostsee spielen. Wie geht das denn?
Katharina Höftmann: Ich bin zwar alle drei Monate in Deutschland und dann auch viel in Stralsund und auf Rügen, aber es stimmt schon: Ich sitze hier an meinem Schreibtisch und gucke auf Tel Aviv hinaus, im Kopf bin ich aber in Stralsund. Das ist schon ein bisschen schizophren. Zumal das immer auch eine Zeitreise ist – die meisten Erinnerungen an die Gegend stammen natürlich aus meiner Jugend. Diese Distanz – geografisch wie zeitlich – macht das Ganze aber auch sehr spannend: Man wird gezwungen zu fokussieren. Als hätte man eine Lupe oder einen Zoom, und zoomt sich rein in das Bild von der fernen Heimat.
Ihre Protagonistin hätte Stralsund auch am liebsten nur aus der Ferne betrachtet…
Katharina Höftmann: Ja, das ist ihr großes Lebensthema: Sie wollte da immer weg und konnte sich nicht vorstellen in dieser beengten Kleinstadt zu bleiben. Doch dann kommt sie zurück, weil sie keine andere Wahl hat – als gebrochene Frau, von ihrem hohen Ross heruntergezwungen. Und jetzt, da sie schwach ist, merkt sie, dass es ihr hilft und sie wieder stärker macht, in dieser Umgebung zu sein.
Inwiefern?
Katharina Höftmann: Ich glaube, das ist ein Konflikt, den viele von uns mit ihrer Heimat haben. Wenn man in die Welt hinausgeht, erfindet man sich neu, wird in der Ferne größer oder besser oder schöner. Dann geht man in die Heimat zurück und ist wieder der, der man immer war. Nicht zuletzt, weil die Eltern da sind. Das Eltern-Kind-Verhältnis macht einen immer ein bisschen klein – gleichzeitig aber auch stärker, weil man den Rückhalt der Familie spürt. Ich finde es generell spannend, was Aufenthalte in der Heimat mit einem machen.
In Ihrem Fall scheint das auch sehr inspirierend zu sein. Wie sind Sie auf das Thema für Ihren jüngsten Krimi Erst wenn du tot bist gekommen?
Katharina Höftmann: Einige meiner Freunde und Bekannten sind in Stralsund geblieben und nicht, wie so viele, nach dem Abi abgewandert. Ein guter Teil von denen hat tolle Jobs und großartige Familien. Aber ein nicht geringer Teil lebt von Hartz IV und führt ein Leben, das für mich fremd ist: Viel fokussiert sich darauf, am Wochenende Party zu machen, Drogen zu nehmen und diesem Alltag zu entfliehen. Und dann ist natürlich die Frage: Was ist mit den Kindern? In welchem Umfeld wachsen die auf? Das hat mich als Mutter, auch mit Blick auf die ganzen Jugendamtskandale der letzten Zeit, sehr interessiert. Kinder haben zu wenig Stimme. Im Krimi hatte ich die Möglichkeit, über den Mord und die Emotion, die der Tod hervorruft, gleichzeitig die vielen anderen Emotionen anzuordnen. Das fand ich spannend.
Sie haben vor diesem Buch drei Krimis geschrieben, die in Tel Aviv spielten. Wie war es, den Plot plötzlich in der Heimat anzusiedeln?
Katharina Höftmann: Die Fremde ist natürlich sehr inspirierend, sie bringt spannende Themen hervor – und Israel hat für mich noch ganz viel Fremde. In Stralsund muss ich hingegen viel genauer gucken, um diese Fremde zu finden. Deswegen bin ich auch bewusst nicht in ein Milieu gegangen, in das ich mich selber zuordnen würde. Sondern in eins, das eigentlich nicht meins ist, das ich aber trotzdem ein bisschen kenne.
Das Genre des Tel-Aviv-Krimis für ein deutschsprachiges Publikum haben Sie mit Ihrem Kommissar Assaf Rosenthal quasi erfunden. Mit Ihrem neuen Krimi müssen Sie sich nun einreihen in eine Riege zahlreicher Küstenkrimis. Wie ist das?
Katharina Höftmann: Natürlich fragt man sich aus wirtschaftlicher Perspektive schon: Kann ich da mithalten? Es gibt ja zum Beispiel im Aufbau-Verlag diese Rügenkrimis von Katharina Peters, die auch sehr erfolgreich und gut sind. Das hat mich aber nicht abgehalten. Zum einen habe ich meinen eigenen Stil. Und was mich von vielen Krimiautoren unterscheidet: Ich bin da wirklich aufgewachsen, ich habe tiefe Verbindungen zu diesen Orten und kenne mich da aus.
Krimis, die an in beliebten Urlaubsorten spielen, entzaubern diese auch immer ein bisschen. Mecklenburg-Vorpommern hat sich hingegen längst selbst entzaubert, machen Rechtsextremismus und AfD-Wahlerfolge doch regelmäßig Schlagzeilen. Aus der Perspektive der Jüdin, wie ist das für Sie?
Katharina Höftmann: Es ist nicht so, dass sich mein Blickwinkel darauf geändert hat, seitdem ich zur Jüdin konvertierte. Als Jugendliche war ich im linken Milieu unterwegs, da war mir natürlich früh bewusst, dass es diese Gruppen gibt. Bei Hansa Rostock saßen die im Stadion. Aber Stralsund war für mich nie eine rechte Hochburg – und ist es auch heute nicht. Doch wenn man in Mecklenburg-Vorpommern ein bisschen ins Inland geht, von den Küsten weg, dann ist das ein Riesenproblem. Ich erwähne im Buch zum Beispiel dieses Nazidorf Jamel, wo ein ganzer Ort von Rechten quasi gekidnapt wurde. Da steht man ratlos davor und weiß nicht, wie man damit umgehen soll.
Nach den letzten großen Wahlerfolgen der AfD in Mecklenburg-Vorpommern forderten viele, nicht mehr an die ostdeutsche Küste zu fahren. Solche Boykott-Haltungen kennen Sie ja auch schon in Sachen Israel…
Katharina Höftmann: Und in beiden Fällen sage ich: Absurd. Ich kann verstehen, wenn mancher aus Angst vor einem Terroranschlag nicht nach Tel Aviv fahren will, allerdings sind mittlerweile Paris, London oder Brüssel auch nicht mehr sicher. Aber dass man in Ablehnung eines demokratischen Staates nicht hierherfährt, finde ich absurd. Genauso absurd ist die Frage, ob man noch an der Ostsee Urlaub machen sollte. Als könnte man gegen die AFD ankommen, wenn man nicht mehr nach Mecklenburg-Vorpommern fährt!
Nach Stralsund fährt man wegen der hübschen Backsteingotik und dem hervorragenden Meeresmuseum. Aber taugt die beschauliche Hansestadt auch als Krimikulisse?
Katharina Höftmann: Natürlich. So gibt es dort beispielsweise ein Viertel, das mehr oder weniger unter der Rügenbrücke liegt, ein richtiges Nachtjackenviertel. In seiner düsteren Bedrohlichkeit hat es fast etwas Großstädtisches, am Ende ist es aber doch irgendwie Stralsund. Ich finde es immer wieder überraschend, wie man in einer kleinen Stadt, die eben nicht New York oder Chicago ist, trotzdem Ecken findet, die einen gewissen Grusel verbreiten. Vielleicht gerade auch, weil es eben diese kleinstädtische Spießigkeit hat.
In Ihrem Krimi Erst wenn du tot bist: Kriminalroman schwimmt die Leiche aber direkt da, wo Stralsund sonst am schönsten ist: am Sund. Musste das sein?
Katharina Höftmann: Der Sund ist definitiv das, was Stralsund ausmacht: der leichte Nebel, der im Sommer über den Sund aufsteigt, der Blick rüber nach Rügen, diese pompöse Rügenbrücke – das ist Stralsund „in a nutshell“. Ich bin in der Nähe zum Sund aufgewachsen. Ich habe am Sundufer geheiratet. Und dass da die Leiche schwimmen muss, war für mich absolut klar.
In Ihrem ersten Buch – „Guten Morgen, Tel Aviv“ – haben Sie das Temperament der Israelis aus der Perspektive der Zugezogenen sehr amüsant beschrieben. Was gibt es über die Mentalität der norddeutschen Ostdeutschen zu sagen?
Katharina Höftmann: Sagen wir mal so, diese Roughness der Israelis – diese raue, nicht immer sehr entgegenkommende, nicht gerade höfliche Art – ist etwas, das ich schon aus meiner Heimat kenne und was mich hier nicht in die Knie zwingt. Ansonsten sind das zwei ganz verschiedene Welten. Während in Israel viel geredet, gestritten und gebrüllt wird, gefällt man sich in meiner Heimat auch gern mit Einwortantworten. Ich rede zum Beispiel gern mit Fischern und die gucken mich Plaudertasche an, als käme ich vom anderen Stern. Als Antwort gibt es oft nur ein Summen oder Nicken oder Kopfdrehen. Ich liebe das, weil es so was Reduziertes hat und das Gegenteil von den temperamentvollen Israelis ist. Was ich auch sehr mag, ist dieses Bodenständige, dieses „Sich-selbst-nicht-so-wichtig-nehmen“ – „Komm mal runter!“, „Bleib mal ruhig!“ Das ist wie ein Gewicht, das einen ein bisschen unten hält, das einen erdet.
Können Sie sich vorstellen, wieder zurück in die Heimat zu gehen wie Ihre Protagonistin?
Katharina Höftmann: Ich kann mir zumindest kein Leben vorstellen, in dem ich nicht regelmäßig in die Heimat fahre. Wenn ich das nicht alle paar Monate hätte und immer in Israel bleiben müsste, wäre ich unglücklich.
Was vermissen Sie an Stralsund?
Katharina Höftmann: Im August vermisse ich definitiv den deutschen Sommer inklusive Sommergewitter, die es hier überhaupt nicht gibt. Ein Sommerregen, der die Luft klärt. Dass man in der Sonne stehen kann, ohne dass man verbrennt. Diese Fahrradwege auf Rügen, die Reetdachhäuser – und alle Leute bemühen sich, dass es hübsch aussieht und pflegen ihre kleinen Gärten. Dann die Fischbrötchen und der Geschmack von Hering. Das vermisse ich schon. Dieses „Es-auf-ganz-hohem-Niveau-schön-haben“.
Ihre Lieblingsorte in der Heimat?
Katharina Höftmann: Mein Lieblingsstrand auf Rügen liegt zwischen Thiessow und Lobbe. Mein Lieblingsort ist Groß Zicker am Bodden – das schönste Dorf auf der ganzen Welt. Dort spielt auch mein neuer Liebesroman An der Ostsee sagt man nicht Amore. Der Titel trifft übrigens auch genau, was für mich Norddeutschland ist: Da sagt einfach niemand Amore. Undenkbar.
Fahren Sie eigentlich auch manchmal in die Berge?
Katharina Höftmann: Nein, was soll ich da? Ich kann mit Bergen nichts anfangen. Gib mir Meer, gib mir Strand – und ich bin glücklich.
Warum macht Sie das Meer glücklich?
Katharina Höftmann: Einerseits hat das Meer etwas beruhigendes – dieses Rauschen, das wirkt fast wie eine White Noise Maschine. Was zu mir auch ganz gut passt: Das Meer kann aufbrausend und tosend sein. Diese Schaumkronen, die einem so entgegenwabern. Diese Weite. Und dann diese unendlichen Möglichkeiten, die es einem bietet: Man kann es erobern, als Surfer oder Schwimmer, man muss manchmal Angst haben… Und: Alles, was man im Leben braucht, ist eigentlich am Meer.
Interview: Cornelia Jeske
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