Hundert Herrenhäuser und eine lange Nacht

Vor zehn Jahren hat Robert Uhde die Mittsommer Remise erfunden, eine lange Nacht der Guts- und Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Jahre später wurde er selbst zum Herrenhausbesitzer. Wie es ist, plötzlich so einen alten Kasten an der Backe zu haben und was uns auf der Herrenhäuser-Nacht im Jubiläumsjahr erwartet, erzählt er im Interview.

 

zweiküsten: Herr Uhde, wie sind Sie vor 10 Jahren auf die Idee der Mitt­som­mer Remise gekommen?

Robert Uhde: Ich war zu der Zeit viel in Berlin und habe fest­stellen müssen, dass die Men­schen um mich herum an mein­er Heimat nur wenig Inter­esse zeigten. Zwar gab es Kind­heit­ser­fahrun­gen oder den all­ge­mein großen Wun­sch „Ans Meer!“, bei den kul­turell Inter­essierten kam noch Hanse und Back­stein­gotik dazu. Aber das war es im Grunde auch schon.

Aus­gerech­net mit alten Her­ren­häusern woll­ten Sie das Inter­esse weck­en? Die gibt es ander­swo doch auch.

Span­nend ist die Dichte und die Vielfalt. Wir haben da in Meck­len­burg-Vor­pom­mern im Prinzip ein Kul­turerbe. Diese Häuser, die hier über Jahrhun­derte ent­standen, zum Teil bis in die Renais­sance zurück­re­ichen, sind architek­tonis­che Klein­ode. Durch die geschichtliche Entwick­lung des Junker­tums in der Region und den daraus resul­tieren­den Dorf­struk­turen kam es zu dieser Vielfalt an Häusern und Repräsen­tan­ten – das zu zeigen, ist der Ansatz.

Schloss Bothmer in Mecklenburg-Vorpommern

Schloss Both­mer © Touris­musver­band Meck­len­burg-Vor­pom­mern/Bernt Hoffmann

Wie viele Häuser nehmen an der Mitt­som­mer Remise teil?

In diesem Jahr sind es 100 – das let­zte Mal waren es 65. Wir weit­en das Fes­ti­val daher dies­mal auf zwei Tage aus: Die 70 Häuser in Meck­len­burg öff­nen am Sam­stag ihre Türen für die Besuch­er, die 30 in Vor­pom­mern am Sonntag.

Das kann man unmöglich alles schaf­fen. Wie sollte man vorgehen?

Ich ver­suche immer, drei bis vier Häuser in ein­er Region zusam­men­zubekom­men, so dass man diese gut mit dem Auto oder unserem Bus-Shut­tle erre­ichen kann. Viele Besuch­er sind auch ambi­tion­iert und ver­suchen, so viele Häuser wie möglich zu sehen. Aber ein biss­chen Zeit lassen sollte man sich schon. Denn es geht neben der Architek­tur und der His­to­rie haupt­säch­lich um die Men­schen hin­ter diesen Häusern, deren Geschichte und deren Konzept der Nutzung.

Historischer Saal im Jagdschloss Granitz auf Rügen

His­torisch­er Saal im Jagdschloss Granitz auf Rügen © Thomas Eisenack/Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern

Was für Men­schen begeg­net man in diesen Gutshäusern?

Etwa dem zurück­gekehrten Adeli­gen, der eine ganze Dor­fre­gion wieder aufge­baut hat und den demografis­chen Wan­del im Sinne von Abbruch ver­dreht hat in Zuwan­derung. Heino Graf von Basse­witz mit seinem Feriengut Dal­witz ist so ein­er. Oder Men­schen, die in späteren Leben­s­jahren eine neue Heimat sucht­en und ihr ganzes Alters­geld bere­itwillig in ein altes Gut­shaus steck­ten, um diesem neues Leben einzuhauchen. Span­nend ist hier etwa das Gut­shaus Lands­dorf.

Oder Raum­pi­onieren wie Knut Splett-Hen­ning und Christi­na Ahle­feld-Lau­rvig, Kreative aus Ham­burg, die das Gut­shaus Ren­sow unglaublich liebevoll saniert haben. Lei­der ist das Haus dies­mal bei der Mitt­som­mer-Remise nicht dabei. Man sollte es sich bei Gele­gen­heit unbe­d­ingt mal anschauen, auch wenn man Gefahr läuft, sich hier mit dem Her­ren­hausvirus zu infizieren. So manch­er, der dort nächtigte, hat­te bald darauf selb­st einen alten Kas­ten an der Backe.

Sie sprechen aus Erfahrung?

Tat­säch­lich habe ich dort schon geschlafen und hat­te wenig später ein Gut­shaus gekauft. Eini­gen anderen ist es auch so ergan­gen. Aber das dürfte weniger an den Zim­mern, als vielmehr an Knut und Christi­na liegen, die eine unglaublich überzeu­gende Art haben und ein­fach begeis­tern kön­nen für das Unternehmen Her­ren­haus. Durch Men­schen wie sie bin ich damals über­haupt erst wach gewor­den für die Frage, ob ich denn auch so eine Ver­ant­wor­tung übernehmen kön­nte. Das ist im Grunde ein biss­chen wie mit einem Kind. So kam es 2010 zum Erwerb des Haus­es Vogelsang.

Das Herrenhaus Vogelsang wurde von Robert Uhde 2010 erworben

Das Her­ren­haus Vogel­sang wurde von Robert Uhde 2010 erwor­ben © Her­ren­haus Vogelsang

Was waren Ihre Pläne für das Haus?

Die Geschichte ist rel­a­tiv unro­man­tisch, auch wenn sie erst­mal so begin­nt. Ich hat­te damals eine Ver­lobte in Berlin und Ziel war, zwis­chen Ros­tock und Berlin ein gemein­sames Nest zu suchen, wobei die Größe eines Her­ren­haus­es natür­lich ver­messen war. Wir fan­den dann das Haus Vogel­sang zwis­chen den Städten Güstrow, Laage und Teterow. Doch kurz nach dem Erwerb hat­te meine Fre­undin famil­iäre Prob­leme, aus denen sie aus­brechen musste, schließlich auf Wel­treise ging und nach ihrer Rück­kehr wed­er an mir noch an dem Haus inter­essiert war. Ich habe das Haus behal­ten und war dann auch sehr klar in mein­er Entscheidung.

In welchem Zus­tand war das Haus damals?

Dreißig Jahre lang hat­te es leer ges­tanden. Es wurde zu DDR-Zeit­en freige­zo­gen, weil es auf die Denkmalliste kam, und dann sog­ar noch sehr aufwändig und liebevoll durch Ost­baubri­gaden saniert. Doch mit dem Über­gang in die Treu­hand 1990 war Schluss. Es gab danach diverse Eigen­tümer, die nie ins Grund­buch kamen, und das Haus mehr oder weniger entk­ern­ten. Als ich es erwarb, war es weitest­ge­hend ausgeschlachtet.

Rober Uhde im Schlosshaus Vogelsang

Neuer Schlossh­err Uhde © Her­ren­haus Vogelsang

Was haben Sie investiert?

Für die Ruine und die 12 Hek­tar drumherum habe ich damals 120 000 Euro bezahlt, investiert wur­den anschließend etwa 650 000. Man hört irgend­wann auf zu zählen.

Wer das Haus sieht, kön­nte man, es stünde in Eng­land, nicht in Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Wie kam dieser britis­che Stil in die Region?

Häuser im Stil der Tudor­gotik waren damals einige Jahrzehnte lang sehr beliebt. Es gab drei, vier große Architek­ten, die in Meck­len­burg-Vor­pom­mern eine recht bre­ite Dichte schufen. Heute sind noch etwa 10 bis 12 schöne Exem­plare dieses Stils erhal­ten. Erbaut wurde das Haus Vogel­sang 1840 und 1884 kom­plett umge­baut – übri­gens durch einen Bürg­er­lichen, der sich im Land­tag in Schw­erin als Lib­eraler für die Neu­po­si­tion­ierung der Bürg­er­lichen in der poli­tis­chen Land­schaft stark machte. Das Haus mit dem gesamten Dorf hat­te er einem kon­ser­v­a­tiv­en Staatssekretär abgekauft. Er riss das alte Gut­shaus ab und set­zte sich stattdessen ein eigenes viel zu großes Som­mer­haus im Sinne von Jane Austen hin.

In welchem Zus­tand ist das Haus heute?

Nach sechs Jahren Sanierung ist es tat­säch­lich zu weit­en Teilen immer noch Baustelle. Das führt zu einem eher mor­biden Charme, ein­er Mis­chung aus „ganzka­putt“ bis schön, was wiederum eine bes­timmte Szene anzieht – Mit­te­lal­ter­rol­len­spiel­er oder die Neoro­man­tik­er des so genan­nten Steam­punk, der in der Sci­ence Fic­tion des 19. Jahrhun­derts wurzelt. Da sieht man dann junge und ältere Leute, die sich der Zeit entsprechend hüb­sch kostümieren, viele mit Fliegerbrillen und Fer­n­rohr, mit Zylin­der und Frack, Rüschen­klei­der und Son­nen­schir­men. Inspi­ra­tionsquellen sind etwa Jules Vernes’ „In 80 Tagen um die Welt“ oder Lewis Car­rolls „Alice in Won­der­land“. Demzu­folge hop­peln bei uns dann auch die weißen Kan­inchen durch den Park.

Zwis­chen “ganzka­putt” und “totalschön”: Her­ren­haus Vogel­sang © Her­ren­haus Vogelsang

Und Sie gehen mit auf Zeitreise?

Ich find das nett und bin dann auch verklei­det. Aber ich laufe nicht den ganzen Tag schw­er­ro­man­tisch mit einem Fer­n­glas herum. Dafür sind wir ein­er­seits zu sehr einge­bun­den. Zudem inter­essieren mich andere The­men weit mehr.

Zum Beispiel?

Demografis­che The­men. Dor­fen­twick­lung. Wie kann man so ein Haus ein­bet­ten in ein Dor­fleben, in eine Inter­ak­tiv­ität? Unter­leuten, der Roman von Juli Zeh, beschreibt die Wirk­lichkeit, in der wir da agieren, sehr gut: Aussteiger aus der Stadt tre­f­fen auf Dorf; Dorf ver­sucht, sich aus der Armutsspi­rale der let­zten 25 Jahre wieder her­auszube­we­gen. Das erleben wir hier.

Aber hat sich Meck­len­burg-Vor­pom­mern wirtschaftlich nicht schon gut entwickelt?

Tat­säch­lich ist die Ost­seeküste in den let­zten 25 Jahren wirtschaftlich wun­der­bar gewach­sen. Wir kön­nen das erleben von dem kleinen Ferien­z­im­mer, das die ältere Dame in ihrem Haus ver­mi­etet, bis hin zum 5‑Sterne-Hotel. Da ist eine gewisse Gesun­dung ent­standen und man kann sehen, dass die Men­schen mit sich zufrieden­er sind und die Städte schön­er wer­den. Das ist ein ganz langsames Wach­s­tum, was der Gegend aber sehr bekommt, weil es authen­tisch ist. Was schnell wächst, ist in der Regel nicht so nach­haltig. Und nicht zulet­zt haben viele wieder­belebte Her­ren­häuser einen pos­i­tiv­en Effekt.

Apro­pos Wach­s­tum. Ihr Fes­ti­val ist mit 12 Häusern ges­tartet. Heute sind es 100, ins­ge­samt ver­fü­gen Sie über ein Net­zw­erk von 200. Ist da über­haupt noch Luft nach oben?

Langfristig ist das Ziel, auch über die Gren­zen zu wirken: von Däne­mark bis ins Baltikum lässt sich ein rot­er Faden von Guts- und Her­ren­häusern ziehen. Das kön­nte mal eine span­nende Kul­tur­route werden.

Inter­view: Cor­nelia Jeske

Das voll­ständi­ge Pro­grammheft der diesjähri­gen Mitt­som­mer Remise gibt es hier zum Down­load.

Das Küstenzitat

„Manch einer mochte glauben, dass die Krater des Grand Canyons oder die Reisfelder Vietnams das Nonplusultra waren. Aber als jemand, der wirklich viel gesehen hatte, auf fast jedem Kontinent gewesen war, überfüttert von außergewöhnlichen Eindrücken, konnte Fanny guten Gewissens behaupten: Nirgendwo war es so schön wie in ihrer Heimat. Die hohen Dünen an der Ostsee. Weiße, breite Strände und grüne, flache Felder.
Der gelbblühende Raps im Frühling. Die unzähligen Seen, deren Wasser wie eine Handvoll Diamanten glitzerte. Selbst im tiefsten, kältesten Winter, wenn einem der eisige Wind vom Meer in die Haut schnitt und das Gesicht taub werden ließ, wenn Eisschollen einsam auf der Ostsee trieben, konnte sie der Landschaft ihrer Heimat noch etwas abgewinnen.“

S. 38

Über Stralsund

Nach Stralsund kommt jeder, der nach Rügen will und nicht auf dem Seeweg anreist. „Tor nach Rügen“ wird die Stadt auch genannt – wer hier allerdings nur durchfährt, verpasst einiges: vor allem eine hübsche Altstadt, die mit ihren Zeugnissen der Backsteingotik seit 2002 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, sowie das Meeresmuseum mit dem Ozeaneum, das 2010 – zwei Jahre nach der Eröffnung – zum Europäischen Museum des Jahres gewählt wurde und heute das meistbesuchte Museum Norddeutschlands ist.
 

Unser Tipp für Stralsund

Kein Segelschein, aber Lust auf einen Segeltörn? In Stralsund kann man ganz unkompliziert auf einer Yacht mitsegeln. Abends in den Sonnenuntergang hinein (20 Euro pro Person), einen Tag lang Richtung Hiddensee (69 Euro pro Person) oder in mehreren Tagen rund um Rügen (350 Euro pro Person). Weitere Tripps und Infos gibt es hier. (Link www.stralsundtourismus.de/de/eine-stadt-am-wasser/mitsegeln).