Zum Reiten lernen ist man nie zu alt, heißt es. Und am besten fängt man damit im Urlaub an – ganz entspannt. Also habe ich mich in diesem Sommer auf Fehmarn in den Sattel geschwungen und meine allererste Reitstunde absolviert – mit weichen Knien und vielen Fragen.
„Möchtest du auch mal aufs Pferd?“, fragt die Betreiberin des Küselhofs, als ich die Reitstunden für meine Tochter buche und die Frage steht im Raum wie eins dieser Aerosole, von denen jetzt immer die Rede ist. Tatsächlich sehe ich meine Gesundheit in Gefahr: Denn ich fürchte Hals- und Beinbruch. „Äh.…“, sage ich und in meinen Kopf galoppieren die Gedanken.
Vor vielen, vielen Jahren – als ich so klein war wie meine Tochter jetzt – hätte ich nicht lange überlegen müssen. Denn ich war eines dieser Pferdemädchen, die sich Pferdeposter an die Wand hängen und von romantischen Strandritten träumen. Doch meine Liebe zu Pferden lebte ich genauso wenig aus wie mein Fernweh nach anderen Ländern – allerdings stand ihr keine Mauer im Weg, denn Pferde gab es in der DDR ja schon. Nur nicht in der Nähe.
Jahrzehnte später nun also die Chance: Endlich reiten lernen! Hier auf der schönen Insel Fehmarn, wo es gefühlt mehr Reiterhöfe gibt als Eisdielen. Wo alle paar Meter ein Reiter hoch zu Ross über den Feldweg trabt. Wo sogar Wildpferde glücklich im Grünen grasen: Im Naturschutzgebiet Wallnau, 25 Minuten Autofahrt entfernt, kann man die hübschen graufalbenen Konik-Pferde mit einem Fernglas beobachten. Allerdings verstecken sie sich gern.
Verstecken spielt nun auch das kleine Pferdemädchen. Denn wo nur ist das Kind in mir, das laut jubelnd nach dem Reiterhelm greift und zu den Pferdeboxen flitzt? Es ist komplett verdeckt von der erwachsenen Frau, die sich auf einmal viele Fragen stellt: Wie komme ich denn rauf aufs Pferd, wie komme ich wieder runter? Und werde ich entscheiden, wann es so weit ist? Oder tut es das Pferd?
Keine Angst!
Aber kneifen ist nicht. Nicht an diesem Ort, an dem schon so viel Mut bewiesen wurde. Diesen schönen Reiterhof im Südwesten Fehmarns nämlich würde es nicht geben, hätten die Betreiber Angst gehabt, damit auf die Nase zu fallen. 4,5 Millionen haben Sonja und Andreas Witt investiert, seitdem sie vor gut zehn Jahren in das hübsche Bauernhaus aus dem Jahr 1870 zogen, wo sie heute mir ihren vier Kindern und Hündin Bonnie leben.
Einen modernen Reitstall und eine Reithalle haben sie errichtet, eine Scheune und das Dachgeschoss ihres Wohnhauses mit Ferienwohnungen gefüllt und im letzten Jahr mal eben zehn komplett neue Häuser auf das weitläufige Gelände des Küselhofs gesetzt. Viele der Unterkünfte haben einen Kamin im Wohnzimmer und einen Strandkorb auf der Terrasse, manche sogar einen Tischkicker, eine Sauna oder Außendusche. Zwischen den Häusern stehen Holzpferde zum Draufklettern. Auch gibt es einen großen Spielplatz mit Trampolin und Hindernisparcours für Kinder. Mehr über den Küselhof steht hier.
„Küsel“ ist übrigens plattdeutsch und steht für „Wirbel“ oder „Wirbelwind“. Die Witts haben ordentlich gewirbelt. Doch als endlich alles fertig war, kam Corona und pustete den Buchungskalender leer. Hinfallen, aufstehen, weitermachen – es war nicht das erste Mal, dass sich die Witts darin üben mussten. Und auch nicht das letzte. Sonja Witt schaut mich an, zeigt auf den Kalender und hebt fragend die Brauen. Reitstunde, ja oder nein … „Aber bin ich nicht zu alt dafür?“, frage ich.
Nein, bin ich nicht. Reiten lernen kann man auch noch in einem Alter jenseits der Bibi&Tina-Zielgruppe. Im Gegensatz zu anderen Sportarten muss man beim Reiten nämlich nicht sonderlich beweglich, schnell oder stark sein. Vielmehr geht es um Koordination und Kondition – und das kriegt auch noch hin, wer nicht unbedingt die oder der Jüngste ist. Es soll Menschen geben, die jenseits der Vierzig zum ersten Mal aufs Pferd steigen und mit Mitte Fünfzig Turniere reiten.
Gut für Bauch und Pyche
Überhaupt ist Reiten ein idealer Sport. Es ist gut für die Rückenmuskulatur, die tiefe Bauchmuskulatur und die Psyche. Es schont die Gelenke, weil – wie beim Radfahren – Hüfte, Knie und Fußgelenke entlastet werden, wenn das Körpergewicht im Sattel getragen wird. Auch das Gehirn wird trainiert, weil man sich beim Reiten gut konzentrieren muss, um schnell reagieren zu können. Und nicht zuletzt sorgt die Bindung zu dem Tier dafür, dass man das Halfter nicht so schnell wieder an den Haken hängt wie so mancher seine Mitgliedschaft im Fitnessstudio.
Diese Bindung ist ganz schnell aufgebaut, wie ich wenig später in der Reithalle feststelle, als ich Jasper in die Augen schaue. Jasper ist ein hübscher Norweger, auch Fjordpferd genannt, mit cooler Irokesenmähne. Die wird ständig gestutzt, weil das schon die Wikinger so hielten. Und weil dadurch der so genannte Aalstrich entsteht: die inneren schwarzen Mähnenhaare stehen etwas höher als die hellen seitlichen und sorgen für Punk am Pferd.
Treppchen und Schaukelpferd
Zum Reiten lernen ist so ein Norweger nicht nur wegen seiner gutmütigen und ruhigen Art hervorragend geeignet, sondern auch wegen seiner Schulterhöhe: Der Sattel sitzt bei Jasper etwa 1,50 Meter über dem Hallenboden. Dennoch frage ich mich, wie ich da nur hochkommen soll. Steigbügel oder Treppchen – das sind die Optionen, die mir Reitlehrerin Jasmin empfiehlt. Sie hätte auch fragen können: Cool oder peinlich? Ich wähle letzteres. Über die Treppe aufs Pony also – das ist wie Radfahren mit Stütze.
Kaum im Sattel möchte ich direkt wieder runter. Denn als Jasper die ersten Schritte macht, schaukelt es wie auf einem Kamel. Mein Körper steuert in alle Richtungen gegen. Was ist mit der Anmut, die Reiter für gewöhnlich aus dem Sattel ausstrahlen? Ich bin weit davon entfernt. Doch bald schon weicht dass unvorhersehbare Schaukeln einem gleichmäßigen Schritt. Geht doch.
Was will Jasper mir sagen?
„Entspann dich, nimm den Rhythmus des Pferdes auf“, sagt Jasmin und ich werde etwas lockerer. Sich eingrooven – auf der Tanzfläche gelingt mir das auch meistens. Doch es dauert, bis Jasmin endlich sagt: „Jetzt hast du es raus, jetzt bist du entspannt“. Aber ist es das Pferd auch? Die Ohren wackeln nach allen Richtungen. Was will mir Jasper damit sagen? Er orte nur die Geräusche aus dem Stall, erklärt Jasmin.
Der Stall ist direkt neben der Reithalle und der Stolz der Witts. Denn sie haben ihn gründlich und lange geplant. Sämtliche Abläufe haben sie analysiert und schließlich optimiert. Heute spart ihnen der Stall vier Arbeitsstunden täglich, weil tränken und misten maschinell erfolgen. 35 Pferde und Ponys haben die Witts. Auch für Gast- und Pflegepferde ist noch Platz. Jasper lauscht jedem Wiehern und Schnauben.
Jetzt legt er die Ohren an – ein schlechtes Zeichen? Nein, das Pferd sei nur konzentriert. Sorglos und entspannt geht es Runde um Runde an der Longe. Schritt nennt sich der erste Gang beim Reiten – und auch wenn es nicht sonderlich aufregend aussieht, es fordert die komplexe statische Achse wie Wirbelsäule und Becken und trainiert so die Körperhaltung. Von mir aus könne es auch ewig so weitergehen – doch Jasmin fragt: „Wollen wir mal Trab probieren?“
Der typische Reiterschwung aus dem Sattel ist offenbar erst was für Fortgeschrittene, denn „gut festhalten!“ ist das einzige, was ich machen soll. Und das mache ich. Denn irrtümlicherweise hatte ich gedacht, es ginge nun vor allem nach oben und unten, doch beim Trab schaukelt es nach allen Seiten, die Beine wissen kaum, wo sie gegenhalten sollen und die Augen werden vor Angst so groß wie Jaspers. „Einfach mitschaukeln“, sagt Jasmin. Das klingt einfach – und ist es irgendwann auch. Ich bleibe also oben, Gott sei Dank.
Steig- oder Kleiderbügel?
Eine kleine Welle der Euphorie erfüllt mich: Ich reite! Am liebsten würde ich mit Jasper direkt an den Strand traben. Der ist nur einen Kilometer weg vom Hof und einer der schönsten Naturstrände der Insel. Wer dort im Sand sitzt, schaut links auf eine kleine Steilküste, rechts auf die schöne Fehmarnsundbrücke. „Kleiderbügel“ wird sie wegen ihre Architektur auch genannt. Aber sind es nicht eher zwei langgezogene Steigbügel, die den Mittelteil so elegant überwölben?
Auch wenn der Strand nah ist, ich habe noch einen weiten Weg vor mir. Es ist die erste Reitstunde und viele weitere muss ich absolvieren, bevor es ohne Longe geht. Reiten lernen braucht Zeit. Aber irgendwann dürfte ich dann raus haben, wie man den Trab absolviert, ohne sich krampfhaft am Sattel festzuhalten. Ich werde raushaben, wie ich allein über Körperspannung im Sattel bleibe, wie meine Schenkel Kommandos geben können und wie ich über die Zügel dem Pferd die Richtung weise, vor allem aber: wie ich oben bleibe und dabei eine gute Figur mache.
Doch noch bin ich von alldem Lichtjahre entfernt. Nicht mal einen guten Abgang kriege ich hin. Ich schiebe ungelenk mein rechtes Bein über den Pferderücken und rutsche an Jasper herunter wie ein nasser Sack. Doch kaum bin ich unten, kommt das kleine Mädchen plötzlich aus seinem Versteck heraus, tritt neben die Erwachsene und ruft fröhlich: „Nochmal!“
Reiten lernen auf dem Küselhof
Der Küselhof liegt im Süden Fehmarns im Ort Wulfen. Angeboten werden Reitstunden für Einsteiger und Fortgeschrittene, Ausritte zum Strand für fortgeschrittene Reiter, Anfängerunterricht im Dressur- und Springreiten, Einzelunterricht für Fortgeschrittene und Turnierreiter und verschiedene Lehrgänge. Unseren Artikel über den Küselhof findest du hier. Alle Informationen über den Hof, die Unterkünfte und das Reitangebot sowie direkte Buchungen über www.kueselhof.de
Buchtipp für Fehmarn
Wir reisen ja gern mit den Büchern vom Michael Müller Verlag. Der Band über Fehmarn von Dieter Katz kommt nicht nur mit dem für diese Reihe üblichem Schatz an detailierten Informationen daher, sondern zusätzlich mit 10 Radtouren und 14 Seiten „Fehmarn mit Kindern”. Hier geht es zur Bestellung bei Amazon: Fehmarn Reiseführer Michael Müller Verlag: Individuell reisen mit vielen praktischen Tipps. (Bei Bestellung über den Link gehen ein paar Cent an Zweiküsten, am Preis für dich ändert sich aber nichts).