Jörg Klingohr ist Coach und Comedian, Landwirt und Lebensberater und zusammen mit seiner Frau Tina auch noch Hotelier und Heimleiter. Entsprechend divers gestaltet sich der außergewöhnliche Bauernhof, den die beiden hier über die letzten zwanzig Jahre aufgebaut haben: mit 4‑Sterne-Hotel, Festscheune, Streichelzoo, Bauernhofkita, Heim für Geflüchtete – sogar eine kleine Kirche wurde neu gebaut. Wir sprachen mit Jörg und Tina Klingohr über ihren Golchener Hof – und ihr nächstes spannendes Projekt.
Kaum vorstellbar, aber vor etwa zwanzig Jahren standen hier noch zwei alte LPG-Hallen aus der DDR-Zeit. Hattet Ihr gleich eine Vision für diesen Ort?
Jörg: Ich bin hier in der Nähe aufgewachsen und damals auf meinem Weg zur Arbeit immer an diesen beiden alten LPG-Hallen vorbeigefahren. Daraus müsste man doch was machen, dachte ich. Ich hatte Wirtschaftspsychologie studiert und beriet Unternehmen in Mitarbeiterführung. Im Jahr 2000 begleitete ich ein großes Unternehmen aus Hanau, welches in Mecklenburg Schilder und andere Plastikprodukte produzieren wollte. Ich dachte an die Hallen und daran, eine Firma zu gründen. Doch als ich die Anlage für 1 Euro erwarb, ergaben sich plötzlich so viele andere Möglichkeiten. Mit meinem Cousin habe ich dann erstmal eine Treckerwerkstatt aufgebaut. Tina habe ich wenig später kennengelernt, sie kam 2003 dazu.
Ihr habt es auch mit Landwirtschaft versucht?
Jörg: Genau. Wir hatten gedacht, wir könnten mit einer kleinen Landwirtschaft und einem Hofladen über die Runden kommen. Wir hatten Schweine und einen Schlachter eingestellt und ich sehe dich noch, Tina, wie du mit unserer Tochter Sina auf dem Arm hinter der Theke standst und unsere eigene Leberwurst verkauft hast.
Tina: Es war eine schöne Zeit, aber das Konzept ging leider nicht auf. Fünfzig Kilometer vor Hamburg oder Berlin oder kurz hinter der Küste wäre es das. Aber hier in der Umgebung hatten noch viele selbst ein Schwein im Stall. Wir haben dann den Hof für Hochzeiten geöffnet. Als uns die Gäste immer öfter nach Fremdenzimmern fragten, kamen wir auf die Idee mit dem Hotel.
Jörg: Dann haben wir uns gesagt: Schweine raus, Urlauber rein!
Klingt einfacher als es vermutlich war?
Jörg: 2009 haben wir die Hotelinvestition beantragt, 2010 gab es zum Glück entsprechende EU-Fördermittel und quasi im Galopp mit Architekten, Ämtern und Banken haben wir bis 2013 hier ein 4‑Sterne-Bauernhofhotel gebaut: mit zwanzig Zimmern und Suiten, Restaurant, Veranstaltungssaal, Festscheune, Sauna und Naturpool. Nein, einfach war das nicht. Das Ganze hat uns sicher zehn Jahre unseres Lebens gekostet.
Von der Architektur her wähnt man die Berge näher als das Meer. Wie kommt das?
Tina: Unser Vorbild waren die Berghotels in Österreich, in denen wir seit Jahren gern Urlaub machen und wo uns die Gastfreundlichkeit und Gemütlichkeit jedes Mal begeistern – das wollten wir unseren Gästen auch bieten. Den Innenausbau mit den rustikalen Holzwänden und Dachimitationen hat daher eine Firma aus Österreich übernommen. Die hat auch das Holz besorgt, das aus alten Bauernhäusern stammt und hier quasi recycelt wurde.
Jörg: Aus unseren Österreich-Urlauben stammt auch die Idee vom kinderfreundlichen Hotel. Wir starteten sogar als Familotel, haben uns aber bald von dem Konzept, das unter anderem eine fast ganztägige Kinderbetreuung vorsieht, verabschiedet. Wir finden, dass es die Kinder verdient haben, Urlaub mit ihren Eltern zu machen – und nicht mit externen Betreuern. Bei uns sollen die Familien zusammen eine schöne Zeit verleben.
Tina: Aber natürlich bieten wir den Kindern auch Programm. Sehr beliebt sind die Bauernhofschule und Traktorfahren mit Willi. Es gibt Ponyreiten und Reitunterrricht. Die Kinder können sich ein Kaninchen aussuchen, um das sie sich die ganze Zeit bei uns uns kümmern, und auch sonst kleine Aufgaben übernehmen, wie Füttern oder die Eier der Hühner und Wachteln sammeln.
Eine Ganztagsbetreuung für Kinder habt Ihr inzwischen aber doch im Angebot: in eurer eigenen Kita …
Tina: Ich bin ja gelernte Erzieherin und da lag es nahe, hier eine Kita zu eröffnen. Für uns beide gibt es nichts schöneres, als die Kindheit auf dem Land zu verbringen. Das bieten wir in unserer Bauernhofkita De Dörpkinner: einen Kinderalltag zwischen Obstwiesen und Bauerngarten, zwischen Schweinen, Kühen und Hühnern – und mit ganz viel herrlich frischer Landluft. Im letzten Winter durften die Dörpkinners denn auch unseren schönen Neubau beziehen.
Direkt daneben wird derzeit gebaut. Was entsteht dort?
Jörg: In der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sind wir vom Landratsamt und vom Jugendamt gefragt worden, ob wir syrische, minderjährige Flüchtlinge aufnehmen könnten. Wir haben dann das Betriebserlaubnisverfahren durchlaufen und bieten seitdem jungen Menschen ohne Eltern ein Zuhause. Derzeit leben hier zwölf Jugendliche, vorwiegend aus Afghanistan und Westafrika. Die meisten von ihnen wohnen in den Zimmern, die wir eigentlich für Hotelgäste gebaut haben. Während der Pandemie war das kein Problem. Doch jetzt bekommen die Jugendlichen ein eigenes Haus. Im Herbst können sie umziehen.
Tina: Für unsere sozialen Projekte, die alle immer auch mit dem Bauernhof und Landwirtschaft zu tun haben, verwenden wir übrigens den Begriff Social Farming. Darunter fallen die Kita, das Heim und auch unser neues Projekt, das nun die ältere Generation im Blick hat: Zusammen bauernhofen!
Klingt nach einem neuen Sharing-Model. Worum genau handelt es sich?
Tina: Wir überlegen schon länger, unser Konzept zu verändern und seit diesem Jahr nun bieten wir unsere Ferienapartments zur dauerhaften Miete an. Mieten kann jeder, der mag. Aber wir können uns besonders gut jung gebliebene Senioren vorstellen, die in ihrem Ruhestand unruhig sind und gern auf dem Hof mitwirken möchten.
Jörg: Denn gut ins Alter kommen, bedeutet nicht, mit allem aufzuhören, sondern etwas neues anzufangen. Man braucht eine neue Aufgabenebene – nicht unbedingt eine, die mit den Kriterien der Arbeitswelt bewertet wird, aber eine, die abrechenbar ist, so dass der Mensch das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Das möchten wir bieten: einen Ort für einen Neuanfang im Alter – mit zahlreichen Betätigungsfeldern. Im Gegenzug wünschen wir uns, dass die Senioren mit ihrer Sichtweise, ihrer Lebensenergie, ihrer Erfahrung, ihrer Zeit und nicht zuletzt ihrer Miete etwas in unseren Pool reingeben.
Also Urlauber raus, Senioren rein?
Jörg: Nicht ganz. Wir vermieten maximal zehn Apartments. Die restlichen bleiben Hotelzimmer. Und wir werden jetzt auch kein Altersheim, wir bieten keine Pflege oder Betreuung – dafür aber Zugehörigkeit und zahlreiche Möglichkeiten, aktiv zu werden.
Die Senioren zahlen Miete – und sollen auch mit anpacken. Wird das funktionieren?
Jörg: Für manche mag es eine Herausforderung sein, aus dieser Denke herauszukommen: ‘Wenn ich hier was tue, dann muss ich doch monetär was dafür bekommen!‘ Unsere Senioren bekommen ja auch was, nur ist das nicht in Geldbeträgen zu messen.
Tina: Wir merken übrigens aber auch bei unseren Urlaubern immer wieder: Am glücklichsten sind die, die sich aktiv einbringen – und weniger die, die sich lieber bedienen lassen.
Wie können sich die Senioren einbringen?
Tina: Zum Beispiel in der Küche oder im Service unseres Hotels. Und natürlich ruft unser gesamter Außenbereich nach Beteiligung: der Garten vor allem, die Tiere, der Fuhrpark. Die Opis könnten auf dem Rasentrecker den Rasen mähen oder an die Forke.
Jörg: Wir hätten auch gern ein Gewächshaus und einen Permakulturgarten. Wenn sich die Senioren darum kümmern könnten, stünden diese nicht unter einem Rentabilitätszwang und wären dadurch überhaupt erst machbar. Vielleicht hätte jemand sogar Spaß daran, mal unser Kaltblut anzuspannen und die Wiese statt mit dem Traktor mit dem Tier zu schleppen. Und vielleicht mag auch jemand sonntags die Glocke der Hofkirche läuten.
Werden Kita und Heim auch eingebunden?
Tina: In der Kita haben wir schon wunderbare Erfahrungen mit Senioren gesammelt. So kommt regelmäßig eine Omi, um den Kindern etwas vorzulesen. Eine andere macht mit ihnen Musik. Auch empfangen wir immer wieder eine Gruppe Senioren aus einem Altersheim. Und das macht nicht nur den Kindern Freude: Das Lächeln der älteren Damen ist einfach bezaubernd. So kamen wir überhaupt erst auf die Idee von Zusammen Bauernhofen. Wir wollen mehr davon.
Jörg: Wir können uns auch vorstellen, dass die Senioren ihre eigenen Bereiche haben und jeweils einen Paten an die Hand nehmen – ein Kitakind oder einen unserer Jugendlichen. Dabei lernt nicht nur der Jüngere vom Älteren, sondern auch umgekehrt: Wenn der Teenager dem Senioren von seiner Kindheit in Afghanistan oder Westafrika erzählt, ändert das sicher auch dessen Sicht auf die Welt, in der wir leben. Es ändert die Perspektive.
Denkt Bauer Korl eigentlich auch langsam an den Ruhestand?
Jörg: Meine Kunstfigur Bauer Korl, mit der ich seit 1998 regelmäßig auf der Bühne und vor der Kamera stehe, hatte in der Pandemie natürlich sehr viel Ruhe. Daher denke ich, dass er bald wieder durch die Lande tingelt. Aber auf dem Hof selbst ist Bauer Korl kaum präsent, es sei denn es gibt eine Vorstellung in unserem Theater.
Ein Theater habt Ihr auch?
Jörg: Wir haben eine mobile Bühne in der Tenne und für kleinere Veranstaltungen die Festscheune. Von Anfang an war es uns ein Anliegen, auch Kultur auf’s Land zu bringen. Gerade hier im Osten sind die Dörfer in den letzten 30 Jahren ziemlich entkernt worden – früher gab es Verkaufsstellen, Gemeindebüros, Betriebe, davon ist nicht viel übrig geblieben. Wir versuchen dem Trend entgegen zu wirken und ein Angebot zu machen.
Stellt Ihr euch manchmal vor, wie es hier aussähe, wenn die erste Idee mit dem Schilderhersteller realisiert worden wäre?
Jörg (lacht): Dann würden wir hier heute vermutlich Grabsteine aus Plaste produzieren. Das war tatsächlich eine Überlegung! Klar, wir hätten mit unserem Hof auch einen anderen Weg gehen können. Unsere Entwicklung war nie geplant, sondern ergab sich aus den Entscheidungen, die wir an den Kreuzungen des Lebens getroffen haben, aus den Richtungen, die wir gewählt haben. Doch Erfolg hat nichts damit zu tun, richtig abzubiegen, sondern damit: nicht stehen zu bleiben.
Interview: Cornelia Jeske
Der Golchener Hof
Der Golchener Hof lieg in Mecklenburg-Vorpommern, in der Nähe von Schwerin. Nach Hamburg sind es gute zwei Stunden, nach Berlin 2,5 bis drei, ans Meer 45 Minuten. Alle Infos zum Hotel unter www.golchenerhof.de, alle Infos zum Projekt „Zusammen bauernhofen“, unter anderem mit Bildern eines Beispiel-Apartments zum Mieten, gibt es hier. Auf dem Instagram-Kanal von Zweiküsten findet Ihr unter den Highlights ein paar Impressionen vom Golchener Hof.
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Buchtipp
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