Ungleiches Duell: Rad gegen Molli

Zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn verkehrt der schöne Nostalgiezug namens Molli. Der nimmt nicht nur Passagiere, sondern auch Fahrräder mit. Eine Tour neben der Spur und eine Fahrt mit Geschichte.

 

Die alte Dame kann so schnell doch nicht sein, dass sie das Fahrrad nicht ein­holen kön­nte. So schw­er schnaubend, wie sich die betagte Lok durch die Land­schaft schiebt, per­ma­nent Dampf und Geräusche ausstoßend, als müsste sie jedem zeigen, dass sie nicht auf dem let­zten Loch pfeift. Schmal­spur halt – was will man erwarten?

Doch das Wet­tren­nen muss warten. Am Bahn­hof Küh­lungs­born-West waren wir dem Mol­li zum ersten Mal begeg­net, wenn auch jed­er in sein­er Spur. Der Mol­li war auf seinen Gleisen abgedampft, wir Radler auf der Straße. Später tren­nten sich unsere Wege, fuhr der Mol­li durch die Felder und das Fahrrad direkt an der Küste ent­lang. Am Meer hörten wir den Mol­li pfeifen, als wolle der Ver­steck­en spie­len – und küm­merten uns darum wenig: Die See näm­lich, sie lag uns dort zu Füßen.

Deck Beach Club Heiligendamm

Wer vom Beach­club an den Strand will, kommt an diesem Schild vor­bei © jes/zweiküsten

Am schön­sten tat sie das vor dem Deck Beach Club kurz vor Heili­gen­damm, wo wir am lieb­sten den ganzen Tag geblieben wären. Doch das ferne Tuten des Mol­li erin­nerte uns an unsere Mis­sion. Also wieder rauf auf das Rad und auf dem Weg zum Wet­tren­nen noch kurz an den schö­nen Villen vor­bei, die link­er­hand vom Grand Hotel (hier trafen sich 2007 die G8 zum Gipfel) in der ersten Rei­he ste­hen, daher auch Per­len­kette genannt.

Sie sind noch älter als der Mol­li – und in der Regel nicht so gut in Schuss. „Die weiße Stadt am Meer“, einst als erstes deutsches See­bad gegrün­det, trägt hier und da ein ver­wahrlostes Senioren­grau – Fas­saden bröck­eln, Scheiben split­tern. Nach und nach wer­den die Villen jet­zt saniert, strahlt die Sub­stanz schon in neuem Glanz.

Perlenkette Heiligendamm Villen

Lost Places für Jahrzehnte – jet­zt wer­den die Villen in der ersten Rei­he saniert, Heili­gen­damms Per­len­kette poliert. © jes/zweiküsten

Neben der See­brücke erk­lärt ein Schild den Strand zum „Nich­trauch­er­strand”. Klar, der Mol­li qualmt schon genug, denken wir – und daran, was wir let­ztlich erfahren haben: Dass eine Zigaret­tenkippe näm­lich so ziem­lich das Übel­ste ist, was man dem Strand hin­ter­lassen kann. Die meis­ten Zigaret­ten haben einen Fil­ter aus Zel­lu­loseaze­tat, der oft erst nach Jahrzehn­ten zer­fällt und bis dahin nach und nach giftige Chemikalien absondert.

Wird der Fil­ter bei der näch­sten großen Welle ins Meer gezo­gen, gelan­gen Mikro­plas­tik plus Schad­stoffe schnell in die Nahrungs­kette. Nach Angaben des Bun­des für Umwelt und Naturschutz (BUND) reicht eine einzige Zigaret­tenkippe aus, um 40 Liter Grund­wass­er zu verseuchen. An vie­len Strän­den wer­den schon regelmäßig Kip­pen aus dem Sand geklaubt, hier in Heili­gen­damm muss man das wohl nicht.

Nichtraucherstrand Heiligendamm

Nich­trauch­er­strand an der See­brücke von Heili­gen­damm. © jes/zweiküsten

Wir schwin­gen uns wieder auf das Rad und fahren rechts aus der Stadt her­aus – zur Mol­li-Jagd. Zwis­chen Heili­gen­damm und Bad Dober­an ver­läuft der Rad­weg endlich direkt neben den Gleisen. Hier soll sich zeigen, wer schneller ist.

Wer sich mit dem Mol­li messen will, muss auf den Fahrplan guck­en. Zwei Mol­lis sind unter­wegs, je ein­er in jede Rich­tung, gut eine Stunde braucht der Zug von Bad Dober­an nach Küh­lungs­born. Wenn der Mol­li in Heili­gen­damm erwartet wird, hat man ihn wenig später neben sich auf den Gleisen.

Wir bleiben auf der Strecke

Es ist soweit. Von hin­ten schiebt sich der Mol­li her­an. Also in die Ped­ale getreten und den Wet­tkampf angenom­men. Schnell kommt die schwarze Lok näher, immer näher. Schon zieht sie dampfend vor­bei. Dann der erste Wagen, der zweite, der… Tat­säch­lich dauert es nur wenige Ped­al­tritte, schon hat der Mol­li uns über­holt und zeigt keck die Schlus­slichter. Bis zu 50 km/h schafft die 460 PS starke Mas­chine, wir bleiben auf der Strecke.

Molli Schmalspurbahn Bad Doberan

Nos­tal­gie auf Rädern: die Schmal­spur­bahn Mol­li im Bahn­hof in Bad Dober­an © jes/zweiküsten

Jet­zt wird kein Mol­li mehr kom­men, eine zweite Chance gibt es nicht. Also radeln wir im eige­nen Tem­po weit­er und an der Galop­prennbahn vor­bei, es ist die älteste ganz Europas. Weit­er nach Bad Dober­an und dort Rich­tung Mün­ster, wo wir uns dessen einzi­gar­tige hochgo­tis­che Innenausstat­tung anschauen. Dann vor­bei an Kloster­garten und ‑ruine zum End­bahn­hof des Mol­li. Da ste­ht er schon und schnaubt.

Molli Fahrradwagen

Der vielle­icht schön­ste Fahrradan­hänger, den eine Lok hin­ter sich herziehen kann, hängt am Mol­li © jes/zweiküsten

Hin­ten an hängt der wohl schön­ste Fahrrad­wa­gen der Welt. Dort deponieren wir die Räder und nehmen selb­st im Wagen davor auf rot gepol­sterten Holzbänken Platz. Mit­ten durch die Stadt schiebt sich der alte Zug dann, dicht vor­bei an Fas­saden und Schaufen­stern, an Gehwe­gen und Pas­san­ten, die fleißig winken. Der Dampf hüllt den Mol­li ein und kriecht in die Nase. Es riecht nach Zünd­plättchen aus Kinderta­gen. So viel Nos­tal­gie war nie.

jes.

Die Strecke von Küh­lungs­born nach Bad Dober­an per Rad ist 17 km lang. Weit­ere Infor­ma­tio­nen über den Mol­li, die Tar­ife und Fahrpläne gibt es hier.

 

 

Buchtipp:

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