Wäre ein strenger Pastor auf der Halbinsel Nordstrand im Jahr 1872 nicht gewesen, es gäbe ihn heute nicht: den nicht nur bei Touristen beliebten Pharisäer.
Wie der wärmt! Schon beim ersten Schluck entfaltet sich der typische Geschmack: Kräftig und von leichter Süße zugleich, so muss ein guter Pharisäer schmecken. In Nordfriesland ist er zuhause: der frisch gebrühte Kaffee mit einem ordentlichen Schuss Rum, etwas Zucker und der krönenden Sahnehaube. Besonders gern wird er getrunken, wenn draußen der Wind schon etwas steifer um die Häuser pfeift. Dann sitzen drinnen die Menschen in ihren grob gestrickten Island-Pullovern und nippen bedächtig an ihren Kaffeetassen. Danach kann man sie selig lächeln sehen.
Auf der Halbinsel Nordstrand ist der Pharisäer erfunden worden, im Jahr 1872. Der heutige Pharisäerhof gehörte damals Peter Georg Johannsen, einem Bauern. Dieser hatte zur Tauffeier eine große Festgemeinde geladen. Darunter auch der damalige Pastor von Nordstrand, Adolph Georg Bleyer. Der Pastor aber, er war ein Problem: So lange er im Haus war, konnten die anderen Gäste nicht mit Alkohol auf den Täufling anstoßen. Das gehörte sich einfach nicht. Zumal der Herr Pastor gern gegen Hochprozentiges wetterte.
Doch die Taufgemeinde wollte nicht den ganzen Tag auf dem Trockenen sitzen, weshalb der Hausherr in der Not erfinderisch wurde: Er ließ Kaffee aufbrühen, gab Zucker hinein und einen ordentlichen Schuss Jamaika-Rum. Oben drauf kam ein Klecks frisch geschlagene Sahne – von außen sah die Tasse aus wie alle anderen. Und der verräterische Geruch des Alkohols wurde durch den warmen Kaffee und die Sahnehaube verdeckt. Es fiel dem Pastor nur auf, dass alle, die davon tranken, immer lustiger und lauter wurden.
Irgendwann bekam Pastor Bleyer jedoch auch eine solche Tasse in die Hand. Er trank, stutzte kurz und rief, als er den Schwindel erkannte, aus: „Oh, ihr Pharisäer!“ Im Neuen Testament wurden mit diesem Namen die Angehörigen dieser religiösen Gruppierung als Heuchler verunglimpft. Das Getränk jedenfalls hatte seinen Namen gefunden.
Im Pharisäerhof wird er bis heute im Café nach Original-Rezept serviert: Frisch gebrühter Mokka, angewärmter, 42-prozentiger Johannsen-Rum aus Flensburg– nach einem Urteil mindestens 4cl! – , ein Teelöffel Zucker und geschlagene Sahne. „Alle sagen, wir machen den besten hier“, sagt Inhaber Detlef Scheler. Kredenzt wird der Pharisäer traditionell in der Kaffeetasse, wie damals. Die hohe Tasse mit dem „Pharisäer“-Schriftzug wurde erst viel später für die Touristen erfunden. Die dürfen zudem einen Fehler nicht machen: den Tasseninhalt vor dem Trinken umzurühren. Wer das doch tut, muss eine Lokalrunde schmeißen.
Simone Deckner
Der traditionelle Pharisäerhof beherbergt heute ein Hotel mit Hundespa und allerlei anderen Vergnügungen für Vierbeiner. Lest hier mehr darüber.